Alnatura-Chef: «Der Gewinn steht nicht im Vordergrund»
Vor dreissig Jahren gründete Götz Rehn die Biomarke. Seit vier Jahren verkauft die Migros seine Produkte. Der Biopionier gab in der Schweiz bislang kaum Interviews. Anlässlich der Eröffnung des neuen Alnatura-Ladens besuchte er Bern.
Wann assen Sie das letzte Mal ein nicht biologisches Produkt?Götz Rehn: Ich war gerade in der Migros, in der Welle 7 beim Bahnhof Bern, und habe dort ein warmes Käseküchlein gegessen.
Sie machen also auch mal eine Ausnahme?Also ich liebe Bioprodukte, weil sie normalerweise besser schmecken. Aber dieses warme Käseküchlein mit Blätterteiggebäck hat mich angelacht, und es war vom Geschmack her perfekt.
Wie oft kommt es vor, dass Sie Nichtbioprodukte kaufen?Selten. Normalerweise kaufe ich nur bei uns ein. Aber da ich viel auf Reisen bin, mache ich auch mal Ausnahmen.
Bei welchen Produkten spüren Sie einen Unterschied im Geschmack zwischen Bio und Nichtbio?Bei Obst und Gemüse gibt es einen grossen Unterschied, aber auch bei Brot, bei Eiern und Joghurt.
Was bedeutet Ihnen Bio?Die Idee des biologischen Landbaus ist, dass wir mit der Natur wirtschaften, aus einer ganzheitlichen Denkhaltung heraus. Wir spezialisieren uns also nicht wie in der Agrarindustrie. Zum Beispiel halten Biobauern in der Regel nur ein Grossvieh pro Hektare, es gibt also keine Massentierhaltung. Das Ziel ist, die Bodenqualität zu verbessern, obwohl man erntet.
Sie stehen heute zum ersten Mal in der neuen Filiale in der Stadt Bern von Alnatura. Wie gefällt sie Ihnen?Ich finde sie sehr gelungen. Ich habe selten eine Filiale gesehen, die auf kleinem Raum so viel bieten kann.
Alnatura ist innert kurzer Zeit zu einem wichtigen Biolieferanten der Migros geworden. Sie haben mittlerweile acht Alnatura-Filialen in der Schweiz eröffnet. Gibt es genug Kunden in den Alnatura-Filialen?Wir haben mit unseren Filialen in Zürich beste Erfahrungen gemacht. Ich gehe davon aus, dass auch die Filiale in Bern gut laufen wird. Und wir sehen, dass sich Alnatura in der Migros sehr gut verkauft. Ich war vor zwanzig Jahren in der Filiale des damaligen Bioladens Vatter in Bern und habe viel gelernt. Das Sortiment von Soja habe ich von ihnen übernommen.
Vielen Kunden fällt auf, dass in Alnatura-Läden keine Musik im Hintergrund abgespielt wird.Wir wollen alles unterlassen, was nicht sein muss. Die heutige Zeit ist geprägt von einer riesigen Fülle von Eindrücken. Wenn alle laut sind, dann hört keiner mehr etwas. Das Personal soll im Laden die Kunden gut beraten können.
«Die Beziehung zur Natur habe ich ganz früh aufgebaut durch die Arbeit in meinem Garten.»
Die Löhne der Alnatura-Mitarbeiter in der Schweiz und in Deutschland sind tief. Warum das?In Deutschland erhalten unsere Mitarbeiter ein Einkommen entsprechend dem Einzelhandelstarif. In vielen Fällen liegen die Einkommen auch darüber. So auch in der Schweiz. Nebst Weiterbildungen profitieren die Mitarbeitenden auch von den Migros-Sozialleistungen.
Welches Potenzial hat Alnatura in der Schweiz?Das ist schwer zu beantworten. Wenn wir uns mit den Sortimenten entwickeln, dann sehe ich ein grosses Potenzial. Man muss den Schweizern zeigen, dass sie ihre Kulturlandschaft schützen, wenn sie biologisch einkaufen.
Welche Produkte enthalten Schweizer Produkte als Zutaten?Im Alnatura-Bio-Supermarkt kommen die frischen Produkte wenn immer möglich aus der Schweiz oder gar aus der Region. Zum Beispiel hier in Bern stammen die Eier aus Wengi bei Büren, die Milchprodukte von Biomilk aus Münsingen und die Brot- und Backwaren vom Berner Ängelibeck. Zudem hat Alnatura eine ganze Reihe von Schweizer Herstellern. Die Produkte werden dann auch in Deutschland verkauft.
Die Herkunft ist manchmal bei Alnatura-Produkten nicht klar.Das ist nicht richtig. Stellen Sie sich vor, Sie machen ein Müsli mit sieben verschiedenen Zutaten. Diese können verschiedene Herkunftsorte haben, weil man nicht immer die erforderlichen Mengen von einem einzigen Bauern bekommt. Da sich die Herkunftsorte ändern können, können wir sie nicht alle einzeln auf der Verpackung nennen. Denn dann müssten wir bei jeder Änderung neue Verpackungen drucken, was nicht nachhaltig wäre. Jede Herkunft kann bei unserem Verbraucherservice erfragt werden.
Alnatura-Produkte sind in der Schweiz teurer als in Deutschland. Warum?In der Schweiz ist das Einkommens- und Preisniveau grundsätzlich höher: Man muss immer die Relation beachten zwischen den Einkommen und den Preisen. Die Schweiz hat es als Insel geschafft, dass das Einkommen der Menschen und die Preise der Lebensmittel im Verhältnis stimmen. Das ist ein grosses Kompliment an die Schweiz. Die Schweizer müssen aber beachten: Der Sozialstatus kann nur gehalten werden, wenn Schweizer Konsumenten auch hier einkaufen und nicht ennet der Grenze.
Bio ist vor allem etwas für Gutverdiener.Ich finde, dass wir bei ganz vielen Produkten günstige Preise anbieten. Die Waren sind erschwinglich. Mit Alnatura wollen wir die Biobewegung vorwärtsbringen. Und manche Produkte sind bei Alnatura billiger als im übrigen Sortiment. Schauen Sie einmal die 500 Gramm Alnatura-Spaghetti, die es beispielsweise schon für 1.40 Franken gibt. Dieser Preis ist tiefer als im konventionellen Einzelhandel.
Mit welchen Mitteln versuchen Sie, Preise tief zu halten?Wir machen kaum Werbung für Alnatura. Neue Geschäfte werden zwar zu Beginn beworben, aber das reicht dann auch wieder.
Discounter wie Aldi und Lidl sind mittlerweile in das Segment der Bioprodukte vorgedrungen. Ist die Konkurrenz hart?Jeder, der Bioprodukte anbietet, hilft dabei, mehr Bio in die Welt zu bringen. Die Produkte sollen gut sein für die Menschen und die Natur. Wenn wir den Markt weiterentwickeln wollen, brauchen wir mehr Höfe, die auf Bio umstellen.
Welche Chancen hat der Lebensmittelhandel im Internet?Man kann alle Produkte im Internet handeln. Ich halte davon nicht so viel. Die Kunden wollen die Waren sehen, die sie kaufen: Ich will die Avocado sehen, ihren Reifegrad fühlen können. In den Onlineshops haben wir eine Liste mit Waren. Das ist aber noch keine digitale Revolution. Die Menschen neigen dazu, alles so zu tun wie früher.
Der Verband der Schweizer Knospen-Bauern, Bio Suisse, sagte mehrmals, er würde es begrüssen, wenn die Migros den Schweizer Konsumenten auch bei den verarbeiteten Bioprodukten wie jenen von Alnatura vermehrt Knospe-Qualität anbieten würde. Was sagen Sie dazu?Die Knospe ist ein Schweizer Standard, Alnatura aber muss sich nach internationalen Standards ausrichten. Zudem: Wir haben bei Alnatura eigene hohe Qualitätsrichtlinien, welche wir einhalten.
Welche denn?Die Zutaten in den Alnatura-Produkten müssen zu 100 Prozent aus ökologischem Landbau stammen. Damit geht Alnatura weit über die Anforderungen der EU- und der Schweizer Ökoverordnung hinaus, in der nur 95 Prozent vorgeschrieben sind.
EU-Bio ist weniger strikt als das Schweizer Knospe-Label. Die meisten Alnatura-Produkte entsprechen bloss den minimalen Schweizer Bioanforderungen, nämlich dem EU-Biostandard. Warum ist das so?Es ist nicht richtig, dass der Alnatura-Standard den minimalen Schweizer Bioanforderungen entspricht.
Aber produziert wird nicht nach den Schweizer Richtlinien.Die Schweizer Biorichtlinien entsprechen den EU-Biorichtlinien. Über diese beiden geht Alnatura in seinen Qualitätsanforderungen hinaus.
EU-Bio hat einen relativ grossen Nachholbedarf beim Wasser-, Boden- und Klimaschutz. Im Rating des WWF wird der EU-Biostandard deshalb nur als bedingt empfehlenswert eingestuft.Wie schon gesagt: Das Alnatura-Sortiment ist nicht nur EU-Bio. Die Alnatura-Qualität stellt höhere Anforderungen, nämlich: Bei Rezepturen und Verarbeitungsverfahren für Alnatura-Produkte haben externe Qualitäts- und Ernährungsfachleute das letzte Wort in der Produktentwicklung. Das macht kein anderes Biounternehmen, nur Alnatura tut dies.
«Gibt man Kleinkindern Bioprodukte, dann gewöhnen sie sich an gesunde Nahrung.»
Sie selber bewirtschafteten schon als fünfjähriges Kind einen Garten bei der Grossmutter in Freiburg im Breisgau, wo Sie aufwuchsen. Später besuchten Sie die Waldorfschule. Dort war Gartenbau ein Schulfach. Haben Sie sich als Schüler entschlossen, eine Biokette zu gründen?Die Beziehung zur Natur habe ich ganz früh aufgebaut durch die Arbeit in meinem Garten. Ich habe Himbeeren angepflanzt, die exzellent gedeihen konnten. Ich erinnere mich noch heute an den Geruch der Kompostierung, was nach so vielen Jahren vielleicht seltsam klingt.
Sie haben zwei Kinder. Mussten Ihre Kinder zu Hause immer Bio essen?Mein Sohn ist heute 31 Jahre alt, und er wurde als Baby mit den ersten Alnatura-Produkten gefüttert. Später bekam er natürlich frisch zubereitetes Essen. Er hat dann nichts anderes mehr gegessen. Am Anfang des Lebens werden die Weichen gestellt: Hat ein Kind den Biogeschmack erlebt, dann gewöhnt es sich kaum mehr um. Gibt man also Kleinkindern Bioprodukte, dann gewöhnen sie sich an gesunde Nahrung.
Sie stammen aus einer Arztfamilie. Vater, Grossvater, Urgrossvater waren Ärzte. Warum studierten Sie Volkswirtschaft?Ursprünglich wollte ich auch Medizin studieren, um etwas Gutes für die Menschen zu tun. Ab dem zwölften Lebensjahr lebte ich im Ruhrgebiet. Es herrschte damals eine Aufbruchstimmung. Die Luft dort war sehr verschmutzt. Die sozialen Spannungen haben mich belastet. Ich habe dann das Lebensmotto entwickelt: Jetzt werde ich Wirtschaftsarzt. Die Frage war für mich: Wie kann ich die Menschen, mit denen ich zu tun habe, in ihrer Entwicklung unterstützen, sodass sie wiederum die Umwelt unterstützen? Ich wollte eine andere Art Wirtschaft machen.
Warum arbeiteten Sie denn nach dem Wirtschaftsstudium zuerst fünf Jahre beim Schweizer Konzern Nestlé als Produktgruppenleiter Schokolade?Das hat sich so ergeben. Ich war in Frankfurt und absolvierte dort ein Traineeprogramm. Ich habe daneben alternative Unternehmen studiert und nach Wirtschaftsmodellen gesucht, bei denen Mitarbeiter sich entfalten können. Die Wirtschaft sollte Produkte und Dienstleistungen hervorbringen, die die Menschen und die Erde nachhaltig fördern und nicht schädigen. Ich kam erst später auf Bio.
Warum denn gerade Bio?Meine Idee war vor allem ein Ideal. Das Verkaufen von Bioware war nur eine Folge. Vor genau dreissig Jahren gründete ich den ersten Alnatura-Laden. Das Besondere ist: Der Gewinn steht nicht im Vordergrund. Wir machen den Gewinn, den wir brauchen, um in den nächsten Jahren gut über die Runden zu kommen. Wir wollen und müssen nicht eine hohe Rendite abwerfen. Wir haben keine Aktionäre, die die Hände aufhalten, wenn es nicht gut läuft.
Aber Sie wollen doch auch Geld verdienen.Das ist nicht das Ziel, sondern nur eine Folge. Wir wollen Produkte anbieten, die interessant sind. Die Leute sollen sie gern kaufen. Erfolgreiches Wirtschaften hat nichts zu tun mit Habenwollen.
Sondern?Es ist viel sinnvoller, Produkte und Dienste ins Zentrum des wirtschaftlichen Bemühens zu stellen, die uns helfen, in Zukunft etwas Sinnvolles aus uns zu machen. Unternehmer sollten alles dafür tun, dass die Menschen sich entwickeln können, und nicht einfach ihre Fähigkeiten für das Wirtschaftsleben ausnutzen.
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