Nach schweren Angriffen in SyrienAngst um Wiedererstarken des IS wächst
Bei den jüngsten Angriffen mit mehr als 370 Toten in Syrien und im Irak handelt es sich um die schwersten seit Jahren. Bürger in Nordsyrien berichten von einer Atmosphäre der Angst.

Nach einem Überfall auf ein Gefängnis in Syrien und einem tödlichen Angriff auf eine Armeekaserne im Irak wächst die Angst vor einem Wiedererstarken der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Der Überfall war einer der schwersten Angriffe des IS in Syrien seit Jahren. Bei den Kämpfen um das Gefängnis wurden laut Aktivisten mehr als 370 Menschen getötet. US-Truppen unterstützten den Kampf gegen die Extremisten mit Luftschlägen.
Das kurdisch dominierte Militärbündnis Demokratische Kräfte Syriens (SDF) hat am Sonntag nach zehn Tagen das Ende der Kämpfe in dem von Jihadisten angegriffenen Gefängnis in der Stadt Hassakeh verkündet. Der Erklärung zufolge seien auch die letzten Bereiche, in denen sich noch IS-Kämpfer aufhielten, jetzt wieder unter der Kontrolle des Militärbündnisses.
Mehrere IS-Kämpfer hatten sich in «Schlafsälen im Norden» des Gefängnisses verschanzt und wurden laut SDF-Angaben erst am Sonntag besiegt. Der Beobachtungsstelle zufolge hatten sich viele Kämpfer in Kellern versteckt, die nur «schwierig» aus der Luft getroffen oder gestürmt werden konnten.

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte stieg die Zahl der Toten seit Beginn der Gefechte auf 373 Menschen. Die in Grossbritannien ansässige Aktivisten-Gruppe bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk verschiedener Quellen in Syrien, deren Angaben von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen sind. Bei den Toten handelte es sich demnach um 268 IS-Kämpfer, 98 kurdische Kämpfer und sieben Zivilisten. Die Beobachtungsstelle geht davon aus, dass die Zahl der Toten wahrscheinlich noch weiter steigen könnte.
Laut der Beobachtungsstelle war es der grösste Angriff dieser Art seit der Zerschlagung des «Kalifats» des IS 2019. Damals war der IS in Syrien und im Irak militärisch weitgehend besiegt worden. Seitdem verübte er aber regelmässig Angriffe auf überwiegend militärische Einrichtungen oder die Ölindustrie. Der Angriff auf das Gefängnis von Hassakeh könnte ein Wiedererstarken der Miliz andeuten.
Hunderte mutmassliche IS-Kämpfer geflohen
Mehr als hundert IS-Kämpfer hatten am 20. Januar das von Kurden verwaltete Gefängnis Ghwajran angegriffen, um Häftlinge zu befreien. In der Haftanstalt sassen bislang nach Angaben der Beobachtungsstelle rund 3500 mutmassliche IS-Kämpfer, darunter auch führende Köpfe der Miliz. Wie vielen Insassen nach der Erstürmung des Gefängnisses die Flucht gelang, war unklar. In einer in den sozialen Medien verbreiteten Erklärung des IS hiess es, mehr als 800 Gefangene seien bei dem Überfall geflohen. Laut SDF sollen zahlreiche Gefangene wieder gefasst worden sein.
Wenige Stunden nach Beginn des Überfalls auf das Gefängnis griffen IS-Kämpfer einen Militärstützpunkt in den Bergen nördlich von Bagdad an, wie die Nachrichtenagentur DPA berichtet. Dabei wurden mehrere Personen getötet, darunter elf schlafende Soldaten.
Einem Mitarbeiter des irakischen Geheimdienstes zufolge operieren die Islamisten im Irak als «sehr dezentralisierte Organisation». Laut einem Militärsprecher würden die grösseren Angriffe meist von sieben bis zehn Kämpfern verübt.
USA: «IS-Bemühungen gescheitert»
In der Haftanstalt in der nordsyrischen Stadt Hassakeh hatten die von den USA unterstützten SDF bereits am Mittwoch erklärt, wieder die unter Kontrolle zu haben. Bis Samstag kam es in der Nähe des Gefängnisses aber immer wieder zu Gefechten zwischen kurdischen Kämpfern und Jihadisten.

Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, erklärte: «Dank der Tapferkeit und Entschlossenheit der SDF, von denen viele das ultimative Opfer gebracht haben, sind die Bemühungen des IS, einen gross angelegten Gefängnisausbruch durchzuführen, um seine Reihen neu zu formieren, gescheitert.»
Eine Atmosphäre der Angst
Nach UNO-Angaben flohen 45’000 Menschen wegen der Gefechte aus Hassakeh. Die Menschen in der Region fürchten sich seit Monaten davor, dass der wirtschaftliche Zusammenbruch und die schwachen staatlichen Strukturen den IS zunehmend wieder erstarken lassen.
«Wir dachten, es sei vorbei und sie würden nicht zurückkommen», sagt ein Mann aus der syrischen Provinz Dair as-Saur der Nachrichtenagentur DPA. «Dann, plötzlich, ist alles wieder auf den Kopf gestellt.» Die IS-Kämpfer seien «überall», schlügen schnell und meist in der Dunkelheit zu. Sie verbreiteten eine Atmosphäre, als ob sie im Verborgenen ständig zugegen seien.
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