Werbung auf dem iPhoneApple setzt seinen Ruf aufs Spiel
Apple will sein Werbegeschäft ausbauen. Der Konzern, der stets mit dem Schutz der Privatsphäre seiner Kunden wirbt, steht damit vor einem heiklen Balanceakt.

Apples übelster Flop begann mit dem bewährten Erfolgsrezept: kleines i, grosses Versprechen. iAds werde den Markt für mobile Werbung revolutionieren, prophezeite der damalige Apple-Chef Steve Jobs, als er das Werbenetzwerk im Jahr 2010 vorstellte. iPhone und iPad haben die Welt verändert, iAds interessiert niemanden. Nach sechs Jahren sah Apple ein, dass sich Handys besser verkaufen als Anzeigen, und beerdigte iAds.
Apple verkaufte zwar weiter Anzeigen, etwa im App-Store und bei Apple News, Werbung war aber lange Zeit nur ein Rundungsfehler in der Jahresbilanz. Doch 2023 könnte das Jahr werden, in dem Apple zum grossen Anzeigenverkäufer wird. Geht der Plan auf, könnte Apple damit Dutzende Milliarden verdienen – und etwas verlieren, das womöglich noch mehr wert ist: den Ruf, sich bedingungslos für die Privatsphäre seiner Nutzerinnen und Nutzer einzusetzen.
Um zu verstehen, warum Apple dieses Risiko eingeht, helfen ein paar Zahlen. Der Markt für digitale Werbung ist gigantisch, 2023 dürften Unternehmen zwischen 600 und 700 Milliarden Euro ausgeben. Allein Google setzt mit seinem Anzeigengeschäft mehr als 200 Milliarden Euro pro Jahr um. Von diesem Kuchen bleiben für Apple bislang bloss ein paar Krümel übrig, im vergangenen Jahr waren es je nach Quelle vier bis sieben Milliarden Euro. Das soll sich ändern: Analysten der Investment-Beratung Evercore gehen davon aus, dass Apples Werbegeschäft bis 2026 auf 30 Milliarden Euro wachsen wird.
Connecting the dots
Apple kommentiert weder den aktuellen noch den prognostizierten Umsatz. Der Konzern weist Werbung in seinen Bilanzen nicht separat aus, deshalb gibt es keine genauen Zahlen. Von «connecting the dots» sprach Jobs in seiner berühmten Rede in Stanford, und wenn man die Datenpunkte verbindet, dann entsteht ein eindeutiges Bild. Bereits im vergangenen Sommer führte Apple neue Werbeplätze im App-Store ein. Angeblich denkt man über Anzeigen in der Kartenplattform Maps nach, auch Sportveranstaltungen könnten bald mit Werbung gestreamt werden.
Fachportale wie Digiday und Apple-Insider wie der Bloomberg-Reporter Mark Gurman berichten seit Monaten, der Konzern suche nach Werbeexperten. Bei Linkedin und auf Apples eigenem Karriereportal finden sich mehr als 100 Stellenausschreibungen, die mit Werbung zu tun haben. Bewerber könnten «eine ständig wachsende Plattform» mitentwickeln, die «hochgradig optimierte Anzeigen» ausspiele. Die Grössenanforderungen seien «extrem», es handle sich um Apples «vertraulichste Pläne», die «Werbung neu definieren» sollen.
Auf den ersten Blick sind Apples Anzeigen-Avancen verständlich. Das iPhone hat Apple zum wertvollsten Konzern der Welt gemacht, doch in der schnelllebigen Tech-Branche kann es fatal sein, sich auf der goldenen Gegenwart auszuruhen. Microsoft, Myspace und zuletzt auch Meta dienen als abschreckende Beispiele, wie schnell Dominatoren zu Dinosauriern werden können.
Deshalb möchte Apple seine Abhängigkeit vom iPhone reduzieren.
Das Timing ist brisant
Wirtschaftlich mag das sinnvoll sein, wettbewerbsrechtlich ist es brisant. Das liegt auch an ATT, kurz für App Tracking Transparency. Seit knapp zwei Jahren müssen Nutzerinnen und Nutzer aktiv einwilligen, bevor iOS-Apps ihr Verhalten auf Webseiten und in Apps anderer Unternehmen erfassen dürfen. Nur ein Bruchteil stimmte zu, auf einen Schlag versiegte ein Strom wertvoller Daten und Transaktionen. Allein Meta soll deshalb Umsätze im zweistelligen Milliardenbereich verloren haben.
Tracking und personalisierte Werbung sind nicht per se verwerflich, viele Dienste und Webseiten könnten ohne Anzeigen nicht überleben. Problematisch wird es, wenn die Überwachung ungefragt geschieht. ATT setzt durch, woran Datenschutzgesetze meist scheitern: Es gibt Menschen ein echtes Mitspracherecht. Aus Nutzersicht ist das ein Gewinn, doch das Timing macht Konkurrenz und Kartellwächter misstrauisch.
Erst wirbelt Apple den Markt durcheinander, dann präsentiert man Werbetreibenden eine passende Alternative. Wenn iPhone-Nutzer eine App herunterladen, nachdem sie auf eine Anzeige geklickt haben, handelt es sich in sechs von zehn Fällen um Werbung, die bei Apple gebucht wurde. Ein Jahr zuvor lag dieser Anteil noch bei 17 Prozent. «Wie Apple hier seine Macht über das Ökosystem ausnutzt, ist atemberaubend», sagt Eric Seufert. Apple sei am helllichten Tag in Facebooks Bank gestürmt und habe die Kronjuwelen geklaut, schreibt der Experte für mobile Werbung.
Wie Apple Tracking definiert
Nach Apples Definition tracken Apps nur dann, wenn sie Daten ausserhalb des eigenen Ökosystems sammeln. Der App Store oder Apple News kommen deshalb ohne das unverblümt formulierte Pop-up aus, das Apple anderen Entwicklern vorschreibt. Stattdessen wirbt man mit einem freundlichen Hinweis um Erlaubnis zum Datensammeln: Personalisierte Werbung «hilft dir dabei, Apps, Produkte und Dienste zu entdecken, die für dich relevant sind». Die Antwort, mit der man einwilligt, ist farblich unterlegt.
Wenn Meta Menschen ausserhalb von Facebook und Instagram über die Schulter schauen möchte, klingt das anders. Keine ausführlichen Erklärungen wie bei Apple, nur eine Frage: «Darf Facebook deine Aktivitäten in Apps und auf Websites anderer Unternehmen erfassen?» Die Antwortmöglichkeiten lauten «App-Tracking ablehnen» und «Erlauben». Beide stehen gleichberechtigt untereinander, keine Schaltfläche ist hervorgehoben.
Von dieser Unterscheidung profitiert vor allem einer: Apple. Denn zu den Daten, die Apple verwenden kann, um Werbung zu personalisieren, zählt auch jeder Kauf, den man über Apples Zahlungssystem abwickelt. Da alle Entwickler dieses System in ihren Apps anbieten müssen (und dabei zwischen 15 und 30 Prozent Provision abgeben), weiss Apple genau, wofür Menschen Geld ausgeben. Diese Information ist wertvoller als alle anderen Daten, die Meta oder Google sammeln können.
Personalisierung sei bei Apple ein unregelmässiges Verb, spottet der Analyst Ben Evans: «Ich personalisiere für ein besseres Erlebnis, du verfolgst deine Nutzer, sie missachten grundlegende Menschenrechte.» Damit spielt er auf Tim Cook an, der immer wieder betont, dass Privatsphäre ein Grundrecht sei. Der Apple-Chef verdammt gern den sogenannten Überwachungskapitalismus, bei dem das Produkt kostenlos ist, Nutzende aber mit ihrer Aufmerksamkeit bezahlen. «Wir könnten einen Haufen Geld verdienen, wenn wir unsere Kunden zu Geld machten», sagte Cook 2018. Doch Apple verkaufe lieber Hardware, als sich in das Privatleben anderer Leute einzumischen.
Auf Apple wartet ein heikler Balanceakt
Cook kann sich solche Seitenhiebe leisten, weil er recht hat. Tatsächlich setzt sich Apple stärker für Datenschutz und Privatsphäre ein als fast alle anderen grossen Tech-Konzerne. Doch in den vergangenen Monaten häuften sich die negativen Schlagzeilen. Die französische Datenschutzbehörde CNIL verhängte kürzlich ein Bussgeld, weil Apple das Verhalten von iPhone-Nutzern im App-Store ohne Einwilligung getrackt haben soll. In Kalifornien und Pennsylvania laufen Sammelklagen. Angeblich trackt Apple Nutzerinnen auch dann, wenn diese das Tracking explizit deaktiviert hatten.
Apple weist diese Vorwürfe zurück und sagt, man sei enttäuscht über die Entscheidung der Datenschützer, gegen die man Einspruch einlegen werde. Vielleicht setzt sich Apple durch, vielleicht werden die Klagen in den USA abgewiesen, vielleicht kommt auch das Bundeskartellamt zu dem Schluss, dass Apple wettbewerbskonform handelt. Doch mindestens genauso wichtig wie der Ausgang dieser Verfahren ist die Tatsache, dass sich Apple öffentlich für Dinge rechtfertigen muss, mit denen jahrzehntelang nur die werbetreibende Konkurrenz in Verbindung gebracht wurde.
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