Frankreich liberalisiert den Arbeitsmarkt
Die französische Regierung hat Einzelheiten zur umstrittenen Arbeitsmarktreform vorgelegt. Entlassungen werden billiger, Gewerkschaften und Branchenabkommen verlieren an Einfluss.

Die Katze ist aus dem Sack. Am Donnerstag hat die Regierung von Präsident Emmanuel Macron die Fakten zur Arbeitsmarktreform auf den Tisch gelegt. Hauptziel sei der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, erklärte Premierminister Edouard Philippe. Die Entwicklung seit 2012 gibt ihm recht: Während die Zahl der Joblosen in Deutschland oder England in dieser Zeit um gut 500 000 gesunken ist, hat sie in Frankreich um eine halbe Million zugenommen.
Um international an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen und Investoren nach Frankreich zurückzuholen, will Philippe Kündigungen finanziell erleichtern. Die französischen Unternehmen stellten vor allem deshalb keine neuen Mitarbeiter an, weil sie Angst hätten, sich nicht mehr – oder nur sehr kostspielig – von ihnen trennen zu können. Die von den Arbeitsgerichten zugesprochenen Abfindungen sind in Frankreich rund doppelt so hoch wie in Deutschland. Bei langjährigen Mitarbeitern können sie mehrere Hunderttausend Euro erreichen.
Abfindungen gedeckelt
Neu werden die Abfindungen gedeckelt. Wer etwa nach zwei Jahren geht, erhält höchstens drei Monate Lohn. Nach dreissig Jahren Mitarbeit gibt es höchstens noch 20 Monatslöhne. Auch die Mindestabfindungen werden festgeschrieben. Die Entschädigungen können neu nicht mehr zwei Jahre, sondern nur noch zwölf Monate eingeklagt werden.
Die gemässigte Gewerkschaft CFDT setzte sich jedoch mit einem anderen Anliegen durch. So wurden die Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen generell um 25 Prozent erhöht. Die Plafonierung auf eine Maximalhöhe erfolgt laut Premier Philippe, damit die Personalchefs die Kosten späterer Kündigungen berechnen können.
Entlassungen gelten neu als gerechtfertigt, wenn die französische Niederlassung eines internationalen Konzerns Verlust schreibt. Bisher musste der ganze Konzern in den roten Zahlen stecken. Philippe will damit ausländische Grossfirmen anziehen: Sie sollen leichter wieder aus Frankreich abziehen können, wenn ihre Niederlassung scheitert. Parallel zur Arbeitsreform sollen auch die Unternehmens- und Sozialabgaben gekürzt werden; geplant sei zudem ein Gesetz zur besseren Fort- und Berufsbildung. Das sei das wirksamste Mittel gegen Arbeitslosigkeit, meinte Arbeitsministerin Muriel Pénicaud.
Die Arbeitsmarktreform enthält insgesamt 36 Punkte. Einige sind brisant, erlauben sie doch Ausnahmen von den Branchenabkommen und schmälern damit die Gewerkschaftsrechte. Bei Firmen mit weniger als 20 Angestellten kann der Patron inskünftig direkt mit dem Personal verhandeln; auch in Betriebsgrössen unter 50 Angestellten muss er nicht unbedingt mit den Gewerkschaften sprechen und kann Betriebsabstimmungen ansetzen, um Kollektivverträge auszuhebeln.
So auch bei Themen wie Prämien oder der Arbeitszeit. Die Regierung scheute sich zwar, die gesetzliche 35-Stunden-Woche – ein weltweites Unikum – aufzuheben; Kleinunternehmen werden sich aber in Zukunft darüber hinwegsetzen können.
Tränengas bestellt
Die radikalste Gewerkschaft CGT, die für den 12. September bereits Proteststreiks angekündigt hatte, erklärte durch ihren Vorsteher Philippe Martinez, «alle Befürchtungen» hätten sich «bewahrheitet». Die gemässigte CFDT erklärte, sie sei «enttäuscht», schliesst sich den Protesten aber trotzdem nicht an. Auch die bisher schwankende Force Ouvrière (FO) verzichtet laut ihrem Vorsteher Jean-Claude Mailly vorläufig auf offenen Widerstand. Das könnte entscheidend sein. Vor einem Jahr noch hatte die FO die Opposition gegen eine erste Arbeitsreform unter Präsident François Hollande angeführt.
Philippe erklärte am Donnerstag, der Text stehe fest und werde in einigen Wochen per Regierungsdekret in Kraft gesetzt.
Von den Franzosen sind heute rund 52 Prozent gegen die Reform. Nach der CGT will die Linkspartei Unbeugsames Frankreich von Jean-Luc Mélenchon am 23. September auf die Strasse gehen. Die Regierung befürchtet, dass sich die Protestierenden mangels einer breiten Einheitsfront radikalisieren könnten. Innenminister Gérard Collomb hat deshalb unlängst 22 Tonnen Tränengas bestellt. Das nicht nur für die Arbeitsreformproteste, betonen seine Berater. Für einen «heissen Herbst» auf dem Pariser Pflaster ist allemal gesorgt.
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