Geschlechtergraben an der Urne Bei diesen 12 Abstimmungen haben die Frauen die Männer zuletzt besiegt
Die AHV-Reform wurde am Sonntag dank der männlichen Voten angenommen. Dieses Übergewicht ist seit Jahrzehnten die Ausnahme. Frauen gewinnen öfter als Männer.
Sie sind sauer, sehr sauer. Gut 300 linke Frauen und einige jüngere Männer haben am Montag auf dem Bahnhofplatz in Bern gegen ihre AHV-Abstimmungsniederlage vom Sonntag demonstriert.
Nationalrätin und SP-Frauen-Co-Präsidentin Tamara Funiciello sagte in einer wütenden Rede: «Es waren reiche, alte, weisse Männer, die den Frauen den Rentenabbau aufgedrückt haben.» Man werde diesen «Schlag ins Gesicht aller Frauen» nicht hinnehmen. Sie rief zur Teilnahme an einer Grossdemo am 14. Juni 2023 auf. (Lesen Sie zum Thema: Der grösste Geschlechtergraben der Geschichte.)
Bürgerliche Frauen wie Mitte-Nationalrätin Marianne Binder oder FDP-Nationalrätin Regine Sauter reagierten darauf mit Unverständnis. Mit ihrem Protest zeigten die Demonstrantinnen, dass sie einen demokratisch gefällten Entscheid nicht akzeptierten, findet ihr Lager.
Knappe Abstimmungsausgänge geben in der politischen Schweiz immer wieder Anlass zu Diskussionen und auch zu geharnischten Reaktionen. Manchmal gibt es einen Röstigraben entlang der deutsch-französischen Sprachgrenze, manchmal überstimmen die Älteren die Jüngeren. Und dann gibt es noch – wie am Sonntag – die Männer-Frauen-Kluft. GFS Bern präsentierte dazu bereits am Montag eine Übersicht.
Das Meinungs- und Politikforschungsunternehmen zählte von der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 bis 2020 zwölf Abstimmungen, bei denen die Frauen die Männer überstimmt haben – und nur vier, in denen es umgekehrt war.
«Politische Differenzen zwischen Frauen und Männern gibt es immer wieder», sagt GFS-Politologin Cloé Jans. «Dass Abstimmungen deswegen ins Ja oder ins Nein kippen, ist aber selten.» Frauen tendieren bei Sozialthemen eher zu einem starken Staat. Zudem stehen sie Inklusion offener gegenüber als Männer. Inklusion heisst, dass alle unabhängig von Kriterien wie Herkunft, Hautfarbe oder Bildungsstand mitmachen dürfen. Frauen waren demnach bei der Antirassismusstrafnorm «ganz entschieden dafür». Bei der erleichterten Einbürgerung sah es ähnlich aus. Jans beobachtet weiter, dass Frauen bei Umweltschutzthemen offener sind als Männer.
Kampfjet dank den Männern
Für Jans lassen die Frauensiege bei 12 von 16 Abstimmungen die These zu, dass sich Frauen parteipolitisch weniger gebunden fühlen als Männer und sich demnach bei Themen, die ihnen wirklich am Herzen liegen, auch besser mobilisieren lassen.

Die Männer setzen sich demgegenüber eher bei Waffen-, Sicherheits- und Armeefragen durch. Hätten die Frauen allein das Sagen gehabt, wäre auch der Bundesbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfjets vom März 2020 abgelehnt worden. Hier sagten gut 55 Prozent der Männer Ja, während 55 Prozent der Frauen Nein stimmten. Unter dem Strich sorgten die Männer damals für den hauchdünnen Vorsprung von 8000 Stimmen, der die Investition von sechs Milliarden Franken in eine neue Luftwaffe ermöglichte.
Auch wurde dank deutlicher Männermehrheiten die Tierschutzinitiative von 1992 bachab geschickt, obwohl 51 Prozent der Frauen diese befürworteten. Nur gut jeder dritte Mann legte bei dieser Initiative ein Ja ein.
Zeitlich dazwischen lag im Jahr 2004 die Volksinitiative «Postdienst für alle». Diese verlangte ein flächendeckendes Netz mit Postdienststellen und eine bessere Grundversorgung von Bevölkerung und Wirtschaft. Sie wurde ziemlich knapp verworfen, weil nur 42 Prozent der Männer zustimmten. Auch diese Initiative wäre angenommen worden, wäre es nach den Frauen gegangen. Denn 54 Prozent von ihnen sagten Ja.
Und 2011 wurde die Waffenschutzinitiative abgelehnt, die Armeewaffen aus Privathaushalten verbannen wollte. Knapp 51 Prozent der Frauen sagten Ja zu diesem Volksbegehren, während es bei den Männern gerade einmal 37 Prozent waren, die dafür waren. 63 Prozent ablehnende Männerstimmen sorgten dafür, dass die Initiative keine Mehrheit fand.
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