EY will Wirtschaftsprüfung loswerdenBilanzskandale zwingen die grossen Buchprüfer zum Umdenken
Kommt das Vorhaben zustande, dürfte es eine ganze Branche erschüttern: EY plant, das Geschäft mit der Wirtschaftsprüfung auszugliedern.

Weil sie den weltweiten Markt für Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung beherrschen, heissen sie die Big Four – die grossen vier: EY, Deloitte, KPMG und PWC. Nun steht die Branche vor einem grundlegenden Umbruch, wie die «Financial Times» am Freitag berichtet. Demnach prüft EY, die Wirtschaftsprüfung abzutrennen und neu als separate Firma aufzustellen.
In der Vergangenheit wehrten sich die grossen vier erfolgreich dagegen, Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung strikt zu trennen. Die Verzahnung beider Geschäftsbereiche helfe, bessere Audits zu gewährleisten, lautete ihr Argument.
Der Prüfer ist auch Berater
Kritiker sehen das anders: Die Wirtschaftsprüfer würden die Jahresergebnisse ihrer Kunden kaum kritisch unter die Lupe nehmen, wenn dieselben Unternehmen gleichzeitig hohe Summen für Beratung zahlten.
Ein Ausdruck dieser Unzulänglichkeit sind die vielen Skandale, welche in den vergangenen Jahren ein Schlaglicht auf die Big Four warfen. Beispiel EY, ehemals Ernst & Young: Das Unternehmen war langjähriger Buchprüfer von Wirecard. Der deutsche Zahlungsdienstleister ging auf spektakuläre Weise pleite, weil er fiktive Milliardenbeträge in den Bilanzen verrechnet hatte. EY merkte offenbar nichts von den Tricksereien.
Die Debatte um die Aufspaltung sei fast schon so alt wie die Branche selbst, sagt ein Schweizer Branchenkenner.
Hierzulande befindet sich EY ebenfalls im Gegenwind. Der New Yorker Hedgefonds Lion Point Capital hat in Zug eine Klage gegen die Schweizer Ländergesellschaft eingereicht, wie im September 2021 bekannt wurde.
Über die insolvente Briefkastenfirma Zeromax aus Usbekistan mit Sitz in Zug sollen Millionen in die Taschen der Präsidententochter Gulnara Karimowa geflossen sein. Und dies soll unter den Augen der Buchprüfer von EY geschehen sein. Der Streitwert beträgt laut EY Schweiz 500’000 Franken. Das Unternehmen werde sich energisch gegen schikanöse Vorwürfe wehren, gab EY Schweiz damals bekannt.
Allerdings spielen Wirtschaftsprüfer eine entscheidende Rolle für das Funktionieren der freien Marktwirtschaft. Anleger verlassen sich auf ein unabhängiges Audit der Jahresabschlüsse von Firmen.
Druck vom britischen Regulator
Die «Financial Times» wertet die Pläne von EY deshalb als «einen kühnen Versuch, den Interessenkonflikten zu entgehen, welche die Branche belasten». Denn auch in den USA, Grossbritannien und Australien haben die Aktivitäten der grossen vier den Argwohn der Aufsichtsbehörden geweckt.
So hat der britische Regulator die Unternehmen bereits angewiesen, ab dem Jahr 2024 ihre Geschäftsbereiche zu trennen. Auslöser ist die Zahlungsunfähigkeit von Carillion. KPMG war die fragwürdige Buchführung des Baukonzerns aus Wolverhampton entgangen.
Den Zeitungsbericht kommentierte EY folgendermassen: «Wir prüfen regelmässig strategische Optionen, die die EY-Geschäfte langfristig weiter stärken können. Wesentliche Änderungen würden nur in Absprache mit den Aufsichtsbehörden und nach Abstimmung der EY-Partner erfolgen.» Das Unternehmen befinde sich «in einem frühen Stadium dieser Bewertung, und es wurden noch keine Entscheidungen getroffen».
Die Schweizer Prüfgesellschaften verfolgen die Diskussion in Grossbritannien. Doch finde die Debatte in dieser Form hierzulande nicht statt, sagt ein Branchenkenner. Da die einzelnen Ländergesellschaften unabhängig aufgestellt seien, habe eine Änderung in Grossbritannien kaum Auswirkungen auf die Schweizer Gesellschaften.
Diese Unabhängigkeit sei durch «robuste Vorgaben» geregelt, präzisiert Marius Klauser, Direktor des Branchenverbands Expertsuisse. Diese sorgten für Klarheit und Transparenz, sodass zwischen Prüfung und Beratung keine Interessenkonflikte entstünden. «Aufgrund von internationalen Entwicklungen wird das System laufend reflektiert und bei Bedarf weiterentwickelt», so Klauser.
EY ist rechtlich als ein Netz unabhängiger nationaler Firmen organisiert, die für die Nutzung der gemeinsamen Marke und Systeme bezahlen. Das Unternehmen beschäftigt rund 312’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in mehr als 150 Ländern.
Jede Entscheidung über die Abspaltung würde eine Abstimmung der fast 4000 Partner erfordern, die über diese unabhängigen nationalen Firmen verstreut sind. Dies könnte dazu führen, dass einige nationale Firmen ihre Wirtschaftsprüfung behalten, während andere aus dem Auditgeschäft eine neue Einheit schaffen.
In letzterem Fall müssten die EY-Partner darauf verzichten, dass sie sich die Erträge aus dem Wirtschaftsprüfungsgeschäft und der Firmenberatung teilen. Kommt die Trennung zustande, rechnen Experten mit einer Signalwirkung für die übrigen drei Mitbewerber auf weltweiter Ebene, die in einem solchen Fall mitziehen müssten.
Skandal sorgt für letzte grosse Bereinigung
Die Branche ist seit je einem hohen Bereinigungsdruck unterzogen. In den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert gab es noch acht Gesellschaften, welche den weltweiten Markt für Wirtschaftsprüfung dominierten.
Durch Übernahmen, Fusionen und Pleiten sind daraus Ende der 1980er-Jahre sechs Unternehmen geworden, dann fünf im Jahr 1998 und schliesslich vier Firmen im Jahr 2001.
Es war ein Skandal, der zur letzten Bereinigung vor über 20 Jahren führte. Buchprüfer Arthur Andersen ging in Konkurs, nachdem eine Beteiligung des Unternehmens am Zusammenbruch der US-Energiefirma Enron bekannt geworden war.
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