Warum es bei der Kritik am Outfit der 50-jährigen Helena Christensen eigentlich gar nicht ums Alter geht.
Von Michèle Binswanger (publiziert am Thu, 09 May 2019 03:00:17 +0000)
Wahrscheinlich fehlt Alexandra Shulman etwas in ihrem Leben – und vermutlich ist es nicht materiell, sondern körperlich. Anders ist nicht zu erklären, was die 61-Jährige, ehemalige Chefin der britischen Vogue, im britischen Boulevardblatt “Dailymail” über das dänische Ex-Supermodel Helena Christensen schrieb. Diese hatte für die Geburtstagsparty ihrer Model-Kollegin Gigi Hadid ein besonderes Outfit gewählt, bestehend aus flachen Schuhen, einer locker sitzenden Jeans und einem Spitzen-Bustier. Letzteres erregte Shulmans Unwillen. Nicht, weil das Kleidungsstück an Christensen nicht gut aussehe. Sondern weil sie mit 50 einfach zu alt dafür sei.
Man kennt die Fragen, nach vierzig stellen sie sich für Frauen zunehmend unangenehm: Kleide ich mich eigentlich meinem Alter entsprechend? Blöd nur, dass die Postmoderne nicht nur die Gesellschaft, sondern auch alte Gewissheiten vollkommen durchgewirbelt hat. Minirock mit vierzig, geht das noch? Kann ich noch pink tragen – oder wäre ich mit einer pflanzengefärbten Seidenkutte besser bedient? Ab welchem Geburtstag muss ich meine Haare einer praktischen Kurzhaarfrisur opfern? Darf ich eigentlich überhaupt noch Sex haben?
Shulman sieht es so: Sexy Kleidung sei etwas für Frauen im reproduktionsfähigen Alter. “Egal, wie knackig die Brüste und wie grossartig deine Beine und wie unsichtbar deine Oberarmflügel – Kleider sehen einfach anders aus, wenn wir altern”, schreibt Shulman. “Was man mit 30 getragen hat, wird zwanzig Jahre später nicht mehr gleich aussehen. Kleider lügen nicht.” Männer betrifft das übrigens nicht, die können ihren Samen nämlich noch bis ins hohe Alter an die junge Eizelle bringen, weshalb sie bis ins hohe Alter als Sexsymbol gelten könnten. Und ihnen die Peinlichkeit erspart bleibt, sich über altersadäquate Kleidung Gedanken zu machen.
Nun ist es eine Sache, das Outfit einer Person aus modischen Gründen zu kritisieren: man kann durchaus darüber diskutieren, ob Pyjamas oder Jogginghosen ein geeingneter Strassenlook sind. Aber Shulman geht es nicht um Mode, nicht einmal um Ästhetik. Es geht ihr ums Alter. Zwar würde Christensen für den Laien ohne Weiteres als Mittdreissigerin durchgehen, aber Shulman argumentiert biologisch. Einen weiblichen Körper herzuzeigen, der seine reproduktiven Tage hinter sich habe, wirke verstörend und leicht tragisch, schreibt sie. “Ich sage nicht, das sei fair, aber es ist wahr.” schreibt Shulman.
Ach ja? Vielleicht ist es auch nur die Rache der älteren Frau an einer jüngeren für ihre Lebensfreude
Ob Suhlmann tatsächlich über die konkrete Funktionsfähigkeit von Christensens Eierstöcken informiert ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Eigentlich aber geht es ihr ja aber auch nicht nur ums Alter, sondern um Sexualität: Ohne reproduktiven Zweck, ängstige die weibliche Sexualität die Gesellschaft, weshalb Frauen darauf verzichten sollten. Was natürlich eine haarsträubende Forderung ist. Erstens: Warum sollte sich eine Frau nicht so kleiden dürfen, wie sie sich fühlt? Und wenn man sich über 50 noch sexy fühlt und entsprechend auch Sex haben möchte – soll man sich dann einen Kartoffelsack über den Kopf ziehen? Und zweitens scheint Shulman das Memo verpasst zu haben, dass die menschliche Sexualität extrem viele verschiedene Zwecke hat. Konkret um Fortpflanzung geht es nur in den seltensten Fällen. Vielleicht sollte sich Shulman eher einmal mit dieser Frage beschäftigen. Vielleicht würde sie dann auch den Grund finden, warum manche Frauen über fünfzig gern noch Partys besuchen – während andere sich damit begnügen, säuerliche Kolumnen über die falsche Kleidung am falschen Frauenkörper zu schreiben.
Der Beitrag Es geht nicht um altersadäquate Kleidung, es geht um Sex erschien zuerst auf Michèle & Friends.
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