Brillant, visionär, obdachlos
Eine fast dokumentarische Graphic Novel des deutsch-italienischen Comic-Duos Julian Voloj und Thomas Campi erzählt, wie die «Superman»-Erfinder um ihren Erfolg betrogen wurden.

Sommer 1975. In Hollywood wird gerade um die «Superman»-Filmrechte verhandelt, es fliessen immense Summen. Allein Marlon Brando bekommt knapp vier Millionen Dollar für die Anfangsszene, in der er den Vater von Superman spielt: anthrazitweisse Frisur, leuchtende Toga, ein mächtiger Mann mit wunderschöner Frau an seiner Seite und bewunderndem Volk um sich herum. Mit ruhiger Hand legt er sein Baby zu Beginn des Films in eine Art Moses-Körbchen und schickt es auf eine intergalaktische Reise.
Während also in Los Angeles ein Welterfolg geplant wird, findet ein Polizist auf seiner Streife durch New York einen alten Mann auf einer Parkbank. Er weckt den Obdachlosen und lädt ihn in einen Diner auf eine Suppe ein. En passant kommt heraus, dass der hungrige Mann früher mal Zeichner war. «Ach, echt», sagt der Polizist, «irgendwas Bekanntes?» – «Na ja», sagt der Alte bescheiden, «ist lange her»; und fängt mit zittriger Hand an zu zeichnen.
Ein dreister Diebstahl
Diese stille Szene bildet die Rahmenhandlung für Julian Volojs und Thomas Campis Graphic Novel über Joe Shuster, den wahren Vater von Superman. Shuster ist in Campis Zeichnungen und Volojs Text das Gegenbild zu Brandos Vater: grauhaarig, gebeugt, schüchtern, einsam. Die einzige Frau an seiner Seite war seine Mutter, die er bis zu ihrem Tod gepflegt hat – soweit ihm das möglich war: Er ist ja selbst halb blind, hatte einen Herzinfarkt, leidet unter Spasmen in den Händen und lebt auf der Strasse, weil er das immer noch besser findet, als bei seinem Bruder zur Untermiete zu wohnen. Und das alles wegen eines Stück Papiers, das er als ahnungsloser junger Mann unterschrieben hat.
Dem deutschen Autor Julian Voloj fielen vor einigen Jahren Briefe des alten Joe Shuster in die Hände, Briefe, in denen der ehemalige Comiczeichner alte Freunde um Geld anbettelt und in entschuldigendem Ton seine Lebensgeschichte ausbreitet. Diese Briefe bilden die Grundlage für Volojs hervorragend recherchierte Comic-Biografie, die sich vor allem auf die Geschichte eines der dreistesten Fälle von geistigem Diebstahl konzentriert: Shuster hat in den Dreissigerjahren mit seinem Freund Jerry Siegel Superman erfunden. Als die beiden nach fünf Jahren endlich einen Verlag fanden, unterzeichneten sie einen Vertrag über 130 Dollar (die sie sich teilen mussten) und traten alle Rechte an ihrer Figur ab. Dafür bekamen sie eine Anstellung als einfache Mitarbeiter (Honorar: 13 Dollar pro Seite) – und mussten bald mit ansehen, wie ihre eigene Figur abhob und mit publizistischen Superkräften andere Leute steinreich machte.
20 Millionen lasen allwöchentlich die Abenteuer des bescheidenen Reporters Kent.
Voloj und Campi beweisen mit ihrer Graphic Novel über den tragischen Antihelden Shuster gutes Timing: Superman ist in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. 1938 flog er seinen ersten Einsatz und war bald nicht mehr wegzudenken aus dem Pantheon der grossen Heldenfiguren. 20 Millionen Menschen lasen allwöchentlich die Abenteuer des bescheidenen Reporters Clark Kent, der nie erwähnt, wer er wirklich ist. Andere Verlage zogen mit eigenen Superhelden nach, Shuster und Siegel hatten ein neues Genre erfunden.
Strahlender Gegenentwurf
So erzählen Voloj und Campi nebenher auch von der Geburtsstunde der Comic-Industrie – und zugleich davon, wie Superman ein strahlender Gegenentwurf zum Leben seiner Erfinder war. Joe Shuster und Jerry Siegel stammen aus jüdischen Einwandererfamilien; die osteuropäischen Pogrome haben sie tief im seelischen Gepäck und verschlingen als Kinder, zwei stille Brillenträger, die ersten Comicstrips. Die beiden lernen sich in der Schule in Cleveland kennen, Shuster malt damals auf Tapetenresten. Weil er keinen Arbeitstisch hat, erarbeitet er später die ersten Superman-Skizzen auf dem Brotbrett seiner Mutter, weshalb freitags Zeichenpause ist – da braucht sie das Brett, um Challahbrot für den Sabbat zu backen.

Shusters Schulfreund Jerry Siegel verbindet für die Superman-Idee Zorros Geheimidentität mit frühen Science-Fiction-Figuren, Shuster setzt seinem zivilen Alter Ego Clark Kent die Brille des schlaksigen Harold Lloyd auf, gibt ihm die Kinnpartie des Frauenhelden Douglas Fairbanks, und gemeinsam siedeln sie die Story, anders als sonstige fantastische Comics der Zeit, in einer amerikanischen Grossstadt an.
Thomas Campis Bilder haben nichts von der harten Linie der Superheldencomics, im Gegenteil, er zeichnet das Amerika der Vorkriegsjahre in gedeckten Pastelltönen, weichen Linien und mildem Nachmittagslicht. Die Bilder erinnern an Edward-Hopper-Gemälde. Sie zeigen ein fast verträumtes, unschuldiges Amerika. Zugleich nehmen diese hopperschen Bilder auch die spätere Einsamkeit und das Altern der beiden Helden vorweg.
Sie verlieren alles – auch die Hoffnung
Als Superman dann richtig abhebt, verschwindet er aus Campis Zeichnungen. Er taucht nur immer wieder als ferner, für seine Schöpfer unerreichbarer Glanz oder gar höhnisches Abbild auf: auf einer Frisbeescheibe, die 1940 an den beiden mittellosen Autoren vorbeifliegt, oder als T-Shirt-Aufdruck der beiden übermächtigen Verleger, gegen die Shuster und Siegel 1948 einen Prozess anstrengen. Sie verlieren dabei alles – den Prozess, ihren Job und Shuster auch die Hoffnung.
Voloj schaffts, in die Story dieses amerikanischen Albtraums und Niedergangs, der sich über Jahrzehnte hinzieht, viele Nebenhandlungen einzuweben, etwa wie stark das ganze Genre der Superheldengeschichten von jüdischen Zeichnern, Autoren und Verlegern geprägt wurde. Nach dem Krieg geriet die ganze Comic-Industrie ins Visier des Komitees für unamerikanische Umtriebe, das mit antisemitischer Hetze zu Felde zog.
Quälende Genauigkeit
Bei all diesen fein ausgestrichelten Bezügen verliert Voloj seine beiden machtlosen Supermänner nie aus den Augen, sondern folgt ihnen mit fast schon quälender Genauigkeit durch ihren jahrzehntelangen Kampf um «Wahrheit und Gerechtigkeit», der bei ihnen, anders als bei ihrem Helden, nur zu Verbitterung (Siegel), versteinerter Melancholie (Shuster) und Vergessen (beide) führte.
Aber dann, im Spätherbst ihres Lebens, erfahren die beiden Männer doch noch so etwas wie Gerechtigkeit: Jerry Siegel schrieb vor der «Superman»-Premiere einen verzweifelten Brief an all seine Bekannten, der so peinlich war für die Produktionsfirma Warner, dass diese den beiden 1978 eine Rente bewilligte und sie als Erfinder ihrer Figur anerkannte. Zu spät, um die Wunden wirklich zu heilen, aber immerhin entstand so endlich ein Bewusstsein, dass es da zwei alte Männer gab, die einst eine archetypische Figur und ein ganzes Genre erfunden hatten.
Julian Voloj (Text) und Thomas Campi (Zeichnung): Joe Shuster – Vater der Superhelden. Carlsen-Verlag, 176 S., 31.90 Fr.
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