Nachdem der «Medien-Mainstream» die Flüchtlingskapitänin Carola Rackete als Heldin feiert, wird sie von der «Weltwoche» als Blenderin zerzaust. Genau dies war früher das typische Muster medialer Debatten in der Schweiz. Dass die härteste Kritik an der Heldenfigur heute in Tat und Wahrheit nicht etwa von der «Weltwoche», sondern von der NZZ kam, ist Ausdruck eines stillen und doch bemerkenswerten Medienwandels in diesem Land.
Noch vor nicht allzu langer Zeit machte sich im politisch-medialen Milieu der Schweiz jeweils am Mittwoch gegen Abend eine leichte Nervosität breit: Welche Geschichte hat die «Weltwoche» diese Woche auf Lager? Wo bürstet sie den Mainstream schmerzhaft gegen den Strich? Welche öffentliche Figur wird diesmal in die Mangel genommen?
Doch die Erfolge der «Weltwoche» in der Themensetzung und der Aufmerksamkeitsökonomie waren nicht ohne Folgen. Zwar blieben die von Roger Köppel auf Rechtskurs getrimmte Zeitschrift und später auch die von Markus Somm geführte «Basler Zeitung» vordergründig in der rechten «Schmuddelecke» stecken. Doch im journalistischen Alltag hielt das «Weltwoche»-Prinzip vor allem via Pendlermedien auch in den sogenannten Qualitätsmedien Einzug.
Und dem Prinzip folgten mit zeitlicher Verzögerung die Personen. Noch Ende 2014, als die NZZ-Verlagsleitung Markus Somm zum Chefredaktor ihres Traditionsblatts machen wollte, kam es zum Aufstand in der Redaktion und im Bildungsbürgertum. Somms Ernennung wurde abgeblasen. Umso bemerkenswerter ist, dass Somm heute zu den festen Autoren von Tamedia gehört, ohne dass dies je grosse Wellen geworfen hätte.
Mit dem rechtsbürgerlichen Somm haben immer mehr Autoren den Weg aus der ehemals isolierten «Weltwoche»-BaZ-Nische gefunden. Derweil sich am anderen Ende des Spektrums ein verblüffend symmetrischer Gegentrend zeigt: Hier sind es besonders profilierte linke Stimmen wie die von Daniel Binswanger oder Constantin Seibt, die sich (freiwillig) in die Nische des Online-Mediums «Republik» zurückgezogen haben.
Der alte Kniff funktioniert nicht mehr
Die Öffnung der privaten Qualitätsmedien der Schweiz nach rechts gleicht einem Muster, das wir seit längerem in der Politik beobachten können. Dort war es lange Zeit die SVP, die den Mainstream gegen den Strich bürstete. Sie war es, die erfolgreich Themen setzte und sich der Aufmerksamkeitsökonomie bediente. Ihr wichtigster Erfolg war dabei womöglich, dass sie sich mit ihrem Aufstieg auch in den Köpfen der anderen eingenistet hatte. Dies zeigt sich aktuell beim EU-Rahmenabkommen: Die alte Reform- und Integrationseuphorie der politischen Elite ist längst verflogen. Das Abkommen wird vom Mainstream selber zerzaust, und es ist die SVP, die händeringend den Anschluss an die Debatte sucht.
Im Erfolg keimt die Niederlage. Positionen, die den Weg in die gesellschaftliche Mitte finden, werden verwässert und verlieren dabei ihre emotionale Kraft. Darunter leidet heute die SVP genauso wie die «Weltwoche» – und besonders trifft es Roger Köppel, der beide Welten in sich vereint. Der alte Kniff, den Mainstream gegen den Strich zu bürsten, erzeugt keine Spannung, wenn der Mainstream sich selber zerzaust.
Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder, liess Georg Büchner einst seinen Danton sagen. In abgewandelter Form gilt dies auch für heutige gesellschaftspolitische Umbrüche: Wenn die Bewegten ankommen, hat die Bewegung oft schon verloren. So wagte etwa die NZZ in den 1990er-Jahren das zuvor Undenkbare und holte mit Kenneth Angst einen prominenten Vertreter der Zürcher Jugendunruhen in die Chefredaktion.
Es ist kein Zufall, dass just in dieser Zeit die SVP zu ihrem Höhenflug ansetzte und ein junger Journalist namens Roger Köppel erstmals sein Talent aufblitzen liess. Am Ende sind es die grossen politischen Zyklen, die stärker sind als jede Redaktionsstrategie. Oder wie es Büchners Danton literarischer formulierte: «Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.»
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Das «Weltwoche»-Prinzip frisst seine Kinder
Kolumnist Michael Hermann über die Öffnung der Schweizer Medien nach rechts.