Der Aufstieg vom Abstellgleis
Vor gut anderthalb Jahren sitzt Nicola Sutter in Winterthur auf der Bank, überlegt, dem Fussball den Rücken zu kehren. Nun ist er einer der wichtigsten Abwehrspieler beim FC Thun.

Es ist ein schöner Herbsttag Ende September 2017. Nicola Sutter sitzt auf der Tribüne der Stockhorn Arena, die Augen wegen der Sonne leicht zusammengekniffen. Neun Runden sind in der Super League zu diesem Zeitpunkt absolviert, fünfmal stand der Ostermundiger für den FC Thun auf dem Platz – auch begünstigt durch Verletzungen und Sperren von Teamkollegen. «Ich bin selbst überrascht, dass ich so viel spiele», sagt Sutter. Es sind die Worte eines jungen Fussballers, der weiss, dass die Super League vor nicht allzu langer Zeit weit weg schien; dass er eigentlich auch hätte sagen können, er sei überrascht, überhaupt noch zu spielen.
Die Rücktrittsgedanken
Im Juli 2016 leiht der FC Thun Sutter dem Challengeligisten Winterthur aus. Eine Stufe tiefer soll er reifen, sich zum Stammspieler entwickeln und einer ins Stocken geratenen Karriere neuen Schwung verleihen. Doch Sutter spielt für den FCW selten durch, kommt nur in 13 von 26 Partien zum Einsatz. Als das Leihgeschäft nach einem halben Jahr endet, kehrt er ausser Form und ohne grosse Hoffnungen zurück nach Thun, schliesslich ist die Konkurrenz im Mittelfeld stark.
Trotz Zweifeln, ob es für einen, der sich in der Challenge League nicht durchsetzen konnte, überhaupt Sinn ergibt, bei einem Superligisten zu sein, beschliesst Sutter weiterzumachen. «Ich sagte mir: ‹Ich versuche es noch ein letztes Mal, und wenn es nicht klappt, ist auch gut. Dann gehe ich normal arbeiten›», sagt Sutter heute. Doch der gelernte Elektroinstallateur ist aktuell Lichtjahre davon entfernt, den Platz auf dem Rasen mit einem im Büro einzutauschen.
Als Sutters Schlüssel in die Super League erweist sich seine Vielseitigkeit. Als in der Thuner Innenverteidigung Personalnot herrscht, nominiert ihn Trainer Marc Schneider eine Reihe weiter hinten – und Sutter fühlt sich wohl, so wohl, dass er sich bald nur noch schwer vorstellen kann, wieder ins Mittelfeld aufzurücken. Und da er seine Sache offensichtlich nicht nur gern, sondern auch gut macht, avanciert er bald zum wertvollen Stammspieler im Abwehrzentrum. Am Anfang habe er Mühe mit dem Stellungsspiel gehabt, sagt Sutter, heute könne er ein Spiel besser lesen und Situationen antizipieren.
Dass er sich in der Innenverteidigung einen gewissen Status erarbeitet hat, zeigt sich darin, dass Schneider beim 2:0-Erfolg in Luzern letzten Samstag neben dem jungen Miguel Rodrigues nicht den designierten Abwehrchef Roy Gelmi, sondern Sutter als Patron der Defensive aufstellte. Mit seiner eher ruhigen und zurückhaltenden Art sei Sutter kein Abwehrchef im klassischen Sinn, sagt Schneider. «Aber er geniesst in der Mannschaft einen sehr hohen Stellenwert und ist auf seine Art ein Leader.» Es ist ein weiterer Beleg für den rasanten Aufstieg des 23-Jährigen – vom Winterthurer Abstellgleis mitten in die Rolle des Super-League-Leistungsträgers innerhalb von gut anderthalb Jahren.
Die Ratschläge
«Das ist schon eine ziemlich schnelle Wende», sagt Sutter. «Ich bin froh, habe ich nicht aufgegeben.» Er habe nach seiner Rückkehr zum FCT viel investiert, um wieder in Form zu kommen, bereits vor den regulären Einheiten Übungen absolviert und gut auf die Regeneration geachtet. «Er wusste, dass das seine letzte Chance sein würde», sagt Schneider, der eine entscheidende Rolle in der Entwicklung einnahm, indem er Sutter seine eigenen Erfahrungen weitergab. Der 38-Jährige wäre nicht Trainer, sähe er trotz Sutters erfreulicher Entwicklung kein Verbesserungspotenzial. Er spekuliere noch zu viel, wie es eben ein Mittelfeldspieler tun würde, statt sich auf die Zweikämpfe zu konzentrieren. Im selben Atemzug lobt Schneider aber auch seine exzellente Spielauslösung. «Jetzt erleben wir langsam den Sutti, wie er in Topform sein kann.»
Die Torgefahr erwähnt Schneider nicht, aber mit drei Saisontreffern ist Sutter momentan sogar der treffsicherste Verteidiger der Liga, dem unter anderem gegen GC im September kurz vor Schluss das Siegtor gelang. «Da war auch Glück dabei», sagt Sutter. «Aber klar, das Glück muss man sich erarbeiten.» Wenn er morgen (16 Uhr) in Lugano aufläuft, wird jedenfalls niemand mehr überrascht sein.
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