Absurde MedaillenverspätungDie EM 2014 in Zürich ist noch immer nicht zu Ende
Neun Jahre nach dem Leichtathletikfest sind nachträglich entlarvten Dopern die Medaillen aberkannt worden – wie sich Betrogene fühlen, hat einst Bobpilot Beat Hefti erlebt.

Die Beförderung kam über Nacht und für eine Leistung, die Anita Marton 2014 erbracht hatte. An der Leichtathletik-EM im Letzigrund gewann die Ungarin die Bronzemedaille im Kugelstossen – jetzt wurde daraus plötzlich die silberne. Julija Leanzjuk aus Weissrussland, die enttäuschte Viertplatzierte, steht nun gar auf dem Podest – auch ihr wird eine EM-Medaille nachgereicht.
Nie die Podestemotionen erlebt
Es ist wieder einmal passiert, was im vergangenen Jahrzehnt in zahlreichen olympischen Sportarten mehr als hundertmal geschehen ist: Jahre nach den Titelkämpfen werden Dopingbetrüger entlarvt, im Nachhinein gesperrt und die Resultate gestrichen. In diesem konkreten Fall wurden drei russischen Leichtathletinnen dank verbesserter Methoden in Nachtests unlautere Mittel nachgewiesen. Marton als auch Leanzjuk erben. Bitter für Letztere: Ihr blieb der grosse Moment mit ebensolchen Emotionen auf dem Podest vorenthalten. Sie ist heute 39, die EM-Medaille in Zürich ist ihre einzige an internationalen Titelkämpfen.
Das Kugelstossen der Frauen ist aber nicht die einzige Rangliste der EM in Zürich, die umgeschrieben wird. Zu diesem dunklen Kapitel im Spitzensport hat auch der Hammerwerfer Sergei Litwinow beigetragen, Sohn des Olympiasiegers und einstigen Weltrekordhalters Sergei Litwinow senior. Auch ihm wurde die Bronzemedaille aberkannt, in den sozialen Medien klagte er daraufhin, der russische Verband habe ihn gezwungen, leistungssteigernde Mittel einzunehmen.
Wann und ob die neuen Medaillengewinner geehrt werden, ist nicht klar. Der olympische Sport und mit ihm die Leichtathletik hat sich lange schwergetan mit nachträglich Entlarvten. Und ebenso mit der Auszeichnung der Nachgerückten. Als an der WM 2017 in London vor einem 50’000-köpfigen Publikum 31 Athletinnen und Athleten späte Genugtuung erfuhren und ihre Medaille umgehängt erhielten, schien der Durchbruch geschafft.
Siegerehrung im eigenen Garten
Er war es dann doch nicht ganz. Es gibt genügend Beispiele für Sportlerinnen und Sportler, denen die offizielle Ehrung in angemessenem Rahmen versagt blieb. auch den Schweizer Bob-Assen Beat Hefti und Alex Baumann. Fünf Jahre mussten sie warten, bis 2019 ihr Zweier-Olympiasieg von Sotschi nach der Doping-Disqualifikation von Sieger Alexander Subkow feststand. Fünf Jahre, in denen der Ärger und das Unverständnis riesig geworden waren. Gold gab es dann zwar, doch eine Feier für sich mussten die beiden selber organisieren.
Das hat auch Jared Tallent getan, ein Geher aus Australien. Er war 2012 an den Olympischen Spielen in London Zweiter über 50 km geworden, und mit vier Jahren Abstand erfuhr er dann von seinem ganz grossen Triumph: Dem Russen Sergei Kirdjapkin wurde nach einer positiven Nachkontrolle die Goldmedaille aberkannt. Also inszenierte Tallent 2016 im eigenen Garten eine Siegerehrung.
In der goldgelben australischen Trainingsjacke stieg er auf ein kleines Podest, liess sich die Medaille umhängen und liess die Hymne «Advance Australia Fair» abspielen. Und wie er sich dann vor einem imaginären Publikum verneigte und ihm zuwinkte, liess einiges an Übung vermuten. Und tatsächlich: Nur kurz zuvor war ihm auch die Goldmedaille der WM 2011 zugesprochen worden, auch da hatte ihn ein gedopter Russe um die echten Gefühle eines Weltmeisters gebracht.
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