Sweet Home: Besuch im BurgundDie fabelhafte Welt der Selina Göldi
Die Rheintalerin hat ihren Traum verwirklicht und lebt in einem alten Haus in einem Weiler am Fluss Saône. Dort weiht sie Interessierte in die Koch- und Esskultur Frankreichs ein.

Da wir nicht reisen können und die Welt gerade ziemlich klein ist, besuchen wir mit «Sweet Home» interessante Menschen an ganz unterschiedlichen Orten. Diese Besuche sind digital, bieten Einblicke in andere Welten und entführen aus dem eigenen Alltag. Den Anfang macht Selina Göldi. Sie hat ihren Traum verwirklicht und wohnt in einem alten Haus in einem kleinen Dorf in Frankreich. Aus diesem neuen Leben ist auch Ihr Workshop-Projekt «l'Art de Bien Manger» entstanden, bei dem die Teilnehmer zusammen kochen, geniessen und den französische Landalltag erleben.
Alle Fotos und das Video, das Sie weiter unten finden, sind von Selina Göldi, und unsere Gespräche fanden am Telefon statt. Entdeckt und kennengelernt haben wir uns über Instagram. Ihr verführerischer, zauberhafter Account @lespoissonchats fühlt sich an wie eine Reise durch einen französischen Roman.

Setzen Sie sich, geniessen Sie ein feines Süppchen, ein knuspriges Stück Brot, ein Glas Wein und tauchen Sie ein in die Welt von Selina Göldi.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an diesem gemütlichen kleinen Tisch und schauen Selina Göldi zu, wie sie etwas kocht, einen Kuchen in den Ofen schiebt und eine gute Flasche Wein entkorkt. Dabei plaudern Sie mit ihr über die kleinen und grösseren Dingen des Lebens und den Alltag in dieser ausserordentlichen Zeit.
Willkommen in Jonvelle

Selina Göldi kommt aus dem Rheintal und ist in einer Familie aufgewachsen, deren Mitglieder Gastwirtschaften und Bauernhöfe betreiben. So hat sie schon immer mitgearbeitet, geholfen, gekocht und ist an grossen Tischen voller Freunde und Familienmitglieder gesessen. Sie studierte Wirtschaft und arbeitete im Marketing und in der Finanzbranche. Dabei hat sie viel von der Welt gesehen, lebte in der Stadt und hat daneben ihre Leidenschaften, das Lesen und Kochen, gepflegt. Zusammen mit ihrem Mann Lars reiste sie besonders gerne und oft nach Frankreich. Dabei träumten die beiden von einem alten Haus auf dem Land. Sie suchten lange und haben schlussendlich ihr Traumhaus in einem kleinen Dorf in der Franche-Comté gefunden.
Das Leben auf dem Land

Das Dorf hat gerade mal hundert Einwohner. «Im Winter ist es sehr ruhig, fast ausgestorben» erzählt Selina «doch im Sommer kommen einige Städter, die hier einen zweiten Wohnsitz haben.» Zu Beginn reisten Selina und Lars oft hin und her, denn Jonvelle ist gerade mal zwei Stunden von der Schweizer Grenze – und drei Stunden von Zürich – entfernt. Lars arbeitet in der Schweiz, und so haben die beiden ein Pied à Terre in der Nähe seines Arbeitsorts. Doch seit Homeoffice angesagt ist, wurde das alte Haus auf dem Land zum Hauptwohnsitz.
Selina hat hier auch ihren neuen Beruf gefunden: Sie führt Workshops durch, bei denen die Teilnehmer nicht nur nach historischen Rezepten kochen, sondern vielmehr die Kunst des guten Essens lernen und einen Einblick in das Frankreich ihrer Träume bekommen. «Zuerst habe ich noch meinen ‹richtigen› Job behalten, doch dann wollte ich nicht mehr zweigleisig fahren und habe mich ganz auf die Workshops konzentriert». Das machte sie nach ihrem Lebensmotto:
«Der Weg entsteht im Gehen.»
Das Haus

Mit diesem Plan, also ohne Plan, haben sie auch vor zehn Jahren ihr Haus gefunden. «Es ist uralt», schwärmt Selina. «Und da wir beide gerne renovieren, war es genau richtig für uns. Wir haben sehr vieles selbst gemacht.» Sie erzählt auch, dass Jonvelle einmal eine Stadt war, aber dann durch einen Krieg zum kleinen Dorf wurde. So ist das 1770 gebaute Haus, dessen Fundament womöglich auf die Römer zurückgeht, eher ein Stadthaus und kein Bauernhof.
Die Welt
In einem Video, das Selina gemacht hat, lädt sie ein in ihr Haus und in ihre Welt. Sie erzählt dabei ein wenig, was sie macht und wie sie lebt. Kommen Sie mit:
Die Küche

Das Zentrum des Hauses ist die grosse Küche mit einem riesigen Cheminée, in dem nun der Herd steht, welcher mit Feuer betrieben wird. In der Küche führt sie ihre Kochworkshops durch, und am Küchentisch wird gerüstet, gehackt und guter Wein getrunken.
Das Kochen

Selina Göldi pflegt eine feine, französische Landhausküche mit markfrischen Zutaten. Schon bevor ihr die Idee zu den Workshops gekommen ist, schrieb sie ihre Rezepte und Ideen rund um das Kochen und Geniessen in ihren Blog «Les Poissonchats». Diesen betreibt sie seit 2017 mit viel Herzblut, auch wenn mittlerweile Instagram ein wichtiges Fenster in die Welt geworden ist.
«Ein Blog geht tiefer, ist gehaltvoller, und man kann mehr weitergeben. Aber ich schreibe auch auf meinen Instagram-Posts oft richtige kleine Geschichten», so Selina. Ein «poisson-chat» ist ein Wels. Selina hat ihren Blog so benannt, weil sie und ihr Mann zu Beginn ihrer Zeit in Jonvelle einmal beim Eindunkeln am Fluss spazieren gingen. Sie hörten ein Planschen und sahen im Halbdunkeln zwei grosse Augen. Sie dachten an einen Wels, der sie als freundliches Flussmonster im Dorf begrüsste.
Das Esszimmer

Das elegante, nostalgische Esszimmer lässt an die Geschichten von Balzac, Stendhal oder Marcel Proust denken und macht Lust, die Bücher der klassischen französischen Autoren wieder einmal hervorzuholen. «Zum Glück hat das Haus einmal einem Tischler gehört, und es kam mit einem Dachboden voller alter Möbel und Dinge. Ein Paradies!» schwärmt Selina. Zudem schlendern sie und Lars gerne durch die vielen Brocante-Märkte in der Umgebung. Diese finden natürlich jetzt nicht statt.
Ebenso sind in Frankreich auch alle Restaurants geschlossen und nach 18.00 Uhr ist Ausgehverbot. Deshalb legen Selina und ihr Mann noch mehr Wert auf gutes Essen und einen schön gedeckten Tisch. Auch ziehen sie sich dafür gerne hübsch an und zelebrieren so das Zuhausesein mit Stil und Genuss. Verspielten alten Weihnachtsschmuck findet man bei Selina übrigens das ganze Jahr im Haus. Sie mag ihn ganz einfach, und er vermittelt für sie nicht zwingend nur Weihnachtsstimmung.

Die Wand, die aussieht wie ein kunstvolles Aquarell, nennt Selina «die Sturmwand». So zeigte sie sich, als das Paar die Wände in ihren Originalzustand zurückholte. Die schöne Patina gefiel ihnen so gut, dass sie sie gelassen haben. Die beiden haben richtig Hand angelegt, um ihr neues Daheim zu renovieren und zu gestalten.
«Man muss sich etwas nicht nur wünschen, sondern es auch machen.»
Der Tisch

Den Tisch deckt Selina gerne mit weissen Damasttischtüchern und klassischem weissem Geschirr. Beides findet sie auf Brocante-Märkten und in Antiquitätengeschäften. Im Winter schmückt sie den Tisch stets mit Immergrün wie Efeu, Olivenzweigen oder Lorbeerblättern, die sie draussen in der Natur findet.
Das Essen

Auf meine Frage hin, ob es denn in dem kleinen Dorf Geschäfte gebe, antwortet Selina: «Alle zwei Tage kommt eine fahrende Bäckerin vorbei, die frisches Brot und Croissants bringt. Für den Einkauf fahren wir auf den Markt in ein anderes Dorf.» Dort hat sie gute Kontakte zu vielen Händlern, die für ihre Workshops auch die speziellen Sachen liefern, die Selina auf dem Menüplan hat. Dieses Foto ist bei einem ihrer Workshops entstanden.
Das Wohnzimmer

Im gemütlichen Wohnzimmer halten sich auch die Katzen des Hauses gerne auf. Sie werden geliebt und verwöhnt. «Was sie verdienen», findet Selina, «denn sie hatten nicht immer ein einfaches Leben». Eine der vier Katzen ist als Wildling, als wild geborene Katze, erst kürzlich zur Familie gekommen.
Die Katzen

Die Katzen tragen viele Namen. «Sie haben auch viele Leben», meint Selina. So wechseln sie die Namen je nach Tageslaune oder Verhalten. Der offizielle Name für den grossen roten Kater, der schon sehr lange mit ihnen zusammenlebt, lautet «Maitre Pomme de Terre». Auch bereits lange in der Familie ist «Piouche», die kleine graue Perserkatze. «Le Chat Sauvage», ist die Tigerkatze mit den kurzen Haaren, ein Wildling aus dem Dorf, den Selina und Lars vor ein paar Jahren aufgenommen haben. Neu dabei ist «Die kleine Glückskatze», auch sie ist ein Wildling aus dem Dorf und erst ein Jahr im grossen alten Haus daheim.
Der Arbeitsplatz

Der Arbeitsplatz ist Selinas Lieblingsort im Haus. Er bietet eine schöne Aussicht auf die umliegende Landschaft. Hier schreibt Selina ihre Rezepte und ihren Blog und organisiert ihre Workshops. Zu Beginn, als sie mit den Workshops angefangen hatte, lief es sehr gut an, erzählt mir Selina. Es kamen viele interessante Leute aus aller Welt. Aber dann kam Corona und alles wurde anders. Wie viele hofft auch Selina, dass es im Frühling und Sommer besser wird, und plant ihren nächsten Workshop im Mai.
Die Gastgeberin

«Bis dahin heisst es durchhalten und dabei die Freude am Leben behalten.» Als freiheitsliebende Schweizerin findet Selina die Ausgangssperre ein bisschen befremdend. «Aber sonst haben wir hier in einem kleinen Dorf auf dem Land viel mehr Freiheiten als in den Städten. So konnten wir uns auch im Lockdown ein bisschen freier bewegen und längere Spaziergänge machen. Jetzt gehen wir manchmal auf dem Markt einkaufen und machen ein Picknick im Auto, denn draussen ist es grad zu kalt dafür! Das gibt ein bisschen Abwechslung, denn es ist sehr hart, nicht in die Restaurants zu können, was ein so wichtiger Teil des französischen Lebens ist.»
Der Kuchen

Zu allen ihren Rezepten weiss Selina eine Geschichte zu erzählen. So schreibt sie, dass der berühmte französische Kuchen «Baba au Rum» der Liebling des polnischen Königs Stanislaus I. Leszczyński gewesen sei. Dieser war auch, dank der Ehe seiner Tochter mit dem französischen König Ludwig XV., Herrscher über Lothringen. Das Rezept zum Kuchen finden Sie auf Selinas Blog.
Die Begleitung

Natürlich sind bei gutem Essen auch der Aperitif, die Weine und der Digestif von grosser Bedeutung. Sie werden zum Essen kombiniert wie Blumen, Schönheit und Geschichten. Deshalb findet es Selina auch besonders schwierig, die Workshops nur digital abzuhalten. «Klar kann ich online Kochkurse anbieten, aber für mich gehören das Gefühl dazu, das Erlebnis und das Wohlbefinden.» Ihre Workshops geben ihr die Möglichkeit, das Leben in einem kleinen Dorf in Frankreich mit einer beruflichen Tätigkeit zu verbinden. Und sie kann so anderen ein Stück von ihrem Frankreich vermitteln, das sie so liebt.
Der Frühling

Selina ist guten Mutes und hofft, dass der Frühling und der Sommer mehr Leichtigkeit bringen werden und sie auch wieder in Restaurants gehen kann. Im letzten Frühling hat sie es manchmal einfach gespielt. So ist dieses Bild am Wegrand entstanden, an den sie und ihr Mann einen kleinen gedeckten Tisch, Stühle, Wein und alles, was dazugehört, stellten. Die beiden spielten Restaurant.
Das Déjeuner

«Das wichtigste Essen im französischen Alltag ist das Mittagessen.» Selina meint, dieses sei von noch grösserer Bedeutung als das Abendessen. «An einem Samstagmittag sind alle Restaurants voll. Familie und Freunde gehen gut essen und nehmen sich Zeit dafür. Im Sommer tut man das auch draussen und manchmal als Picknick. So wie in Manets berühmtem Bild «Déjeuner sur l'herbe.» So widmet sie ihren nächsten Workshop dem Thema Mittagessen, seiner Geschichte, seinem Genuss und seinen vielen Varianten.
In Gedanken sitze ich jetzt dort, an diesem schön gedeckten Tisch mitten im Gras, im Schatten des Baumes. Und vielleicht geht es Ihnen wie mir: diese kleine digitale Reise an einen andern Ort mit Einblick in ein anderes Leben fühlt sich fast so an wie ein echter Ausflug.
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