Schweiz erfolgreich wie nieJoseph schöpft Kraft aus der Niederlage und sprintet zu Hürden-Gold
Der Basler dominiert und wird in Istanbul Hallen-Europameister, während Ditaji Kambundji mit erst 20 bereits zu ihrer zweiten EM-Medaille stürmt.

Er hat es jüngst achselzuckend gesagt: «Es kann an jedem Tag alles passieren.» Klar, der Hürdenfinal über 60 m ist die Zitterdisziplin. An diesem Sonntagabend zum Abschluss der Hallen-EM in Istanbul weiss Jason Joseph aber, dass nun eigentlich nur eines passieren kann. Zu sehr hat er Vorlauf und Halbfinals dominiert. Und der 24-Jährige aus Basel erfüllt sich seinen so lange gehegten Traum von einer Medaille bei der Elite souverän: Joseph wird in 7,41 Sekunden Hallen-Europameister – nur Minuten, nachdem Ditaji Kambundji in derselben Zitterpartie die Bronzemedaille gewonnen hat. Erst gar nicht realisiert hat der Schweizer, wie schwer der Spanier Llopis gestürzt ist. Er musste mit der Bahre abtransportiert werden.
Es ist ein triumphaler Moment für die beiden jungen Athleten, und es ist eine starke Hallen-EM für das Schweizer Team: Mit der goldenen von Mujinga Kambundji über 60 m holte es insgesamt drei Medaillen , Rang 6 in der Nationenwertung, und wenn Simon Ehammer … Doch sein Nuller im Weitsprung und die Aufgabe im Siebenkampf stehen genau dafür: Es kann an jedem Tag alles passieren.
«Zum ersten Mal konnte ich meiner Rolle gerecht werden.»
Joseph hat in einem makellosen Wettkampf zum sechsten Mal in diesem Jahr seine Bestzeit und damit den Schweizer Rekord verbessert. Er sagt: «Zum ersten Mal konnte ich meiner Rolle gerecht werden. Ich glaube, dass ich aus der Niederlage an der EM in München Kraft schöpfen konnte.» Seine Position in der Jahresweltbestenliste festigte er eindrücklich: In 7,41 ist er Dritter hinter US-Weltrekordhalter Grant Holloway (7,35) und dessen Landsmann Daniel Roberts (7,39). Schon als Junior war der 1,93 m grosse und kräftige Athlet der Schnellste in Europa, er war es auch in der U-23-Kategorie (beides Freiluft), jetzt ist es Joseph zumindest in der Halle.
Und diese Leistung, der zwei harte Lehrjahre in Florida ohne befriedigende Resultate vorausgegangen sind, lässt ihn mit neuem, immensem Selbstvertrauen natürlich von mehr träumen. Joseph ist nicht als schneller Starter bekannt, doch seine grosse Stärke liegt auf der zweiten Hälfte der Distanz. Einmal im Flow, kann er da aufdrehen wie kaum ein anderer. Und das ist über 110 m im Sommerhalbjahr von viel grösserer Bedeutung als jetzt in der Halle. Die WM im August in Budapest kann kommen. Seine Trainerin Claudine Müller, von der er sagt, sie sei das A und O seines Erfolges, wird ihm beibringen, über die längere Distanz alles genau gleich zu machen.
«Nicht der einfachste Tag»
Genau dies ist Ditaji Kambundji gelungen – nur umgekehrt. Die Bernerin gewann ihre erste Elite-Medaille im August in München über 100 m Hürden, jetzt, und dies noch immer mit erst 20 Jahren, doppelte sie bereits nach. Die jüngste der vier Kambundji-Schwestern ist damit die Ausnahmeerscheinung unter all den Schweizer Begabten – in diesem Alter hat Anita Weyermann in den 1990er-Jahren Medaillen gewonnen und sonst niemand.

Ditaji Kambundji wurde in 7,91 Dritte hinter der Finnin Reetta Hurske (7,79) und der Niederländerin Nadine Visser (7,84), die eine 27, die andere 28 Jahre alt. Gegenüber SRF zeigte sich die Schweizerin erleichtert: «Ich bin mega froh, es war nicht der einfachste Tag. Ich hatte Mühe, in den Wettkampf zu finden. Dass ich zuletzt eine Medaille gewinnen konnte, ist super.»
Ihre Leistung erscheint umso wertvoller, als dass Kambundji seit letztem Herbst die Sportler-RS absolviert und sie ihr Trainingsumfeld neu sortiert hat. Auch sie arbeitet zweimal in der Woche mit Claudine Müller an der Hürdentechnik, das Sprinttraining bestreitet sie grösstenteils mit ihrer Schwester nach den Plänen von Florian Clivaz. Auf dass an jedem Tag alles passieren kann.
Anmerkung: In einer ersten Version dieses Artikels stand, nie zuvor sei die Schweiz so erfolgreich gewesen wie jetzt mit zwei Titeln und einer Bronzemedaille. Richtig ist: 1984 nahm die Schweiz mit fünf Athleten in Göteborg teil, alle fünf gewannen eine Medaille: 1-mal Gold (Peter Wirz), 2-mal Silber (Markus Ryffel, Werner Günthör), 2-mal Bronze (Roland Dalhäuser, Sandra Gasser).
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