Corona-Debatten in der «Arena»«Drohungen haben stark zugenommen»
Seit Ausbruch der Corona-Krise erhält «Arena»-Moderator Sandro Brotz viel mehr beleidigende Nachrichten als früher. Er versucht, gelassen zu bleiben. Aber es gebe Grenzen.

Nach der «Arena»-Sendung vom vergangenen Freitag erhielt deren Moderator Sandro Brotz eine Drohung, die ihn zu einer Strafanzeige veranlasste. Darüber berichtete der «Blick».
In der Sendung sassen Gegner und Befürworter der Corona-Massnahmen, insbesondere der Zertifikatspflicht, an einem «runden Tisch». Sie diskutierten unter anderem darüber, wie sich trotz wachsender Gereiztheit eine zivilisierte Debattenkultur aufrechterhalten lässt.
Brotz sagt, der vom «Blick» geschilderte Fall sei nicht der einzige. Er habe wegen expliziter Drohungen schon zuvor in mehreren Fällen Anzeige erstattet. «Im Vergleich zu früher, als ich noch die «Rundschau» moderierte, haben Drohungen und Beschimpfungen stark zugenommen. Und seit der Corona-Krise erst recht», sagt der «Arena»-Moderator am Telefon.
Er fühle sich aber deswegen nicht als weisser Ritter. Und er sei sich sehr wohl bewusst, dass dieses Phänomen auch viele andere betreffe – Ärzte, Virologinnen, Epidemiologen, Politiker, Gesundheitsexpertinnen. «Anders als bei mir gehört es nicht zum Jobprofil all dieser Leute, sich aggressiven Reaktionen auszusetzen, bloss weil sie ihre Arbeit verrichten.»
«Anders als früher unterschreiben heute viele ihre Schmähmails mit dem richtigen Namen.»
Der Satz ehrt Sandro Brotz. Aber unser Interesse richtet sich im Moment darauf, wie er als Moderator der landesweit bekanntesten Diskussionssendung mit den ständigen Drohungen und Pöbeleien umgeht.
Nach jeder Sendung erhalte er teilweise Hunderte aggressiver Rückmeldungen auf den diversesten Kanälen, und im Unterschied zu früher würden viele Verfasser unter ihrem Klarnamen schreiben.
«Wir wissen, wo Sie wohnen.» «Wir könnten auch mal zum Eingang des Fernsehstudios kommen.» «Sie sind ein Problem, das man aus der Welt schaffen muss.» Solche Dinge.
Einerseits, sagt Brotz, gebe es eine Grenze, und wenn die jemand überschreite, schalte er die Polizei ein. Andererseits sagt er: «Heftige Reaktionen auszuhalten, gehört zu meinem Beruf. Solche Begleiterscheinungen muss man akzeptieren, oder man sollte den Job wechseln.»
Im Epizentrum öffentlicher Diskussionen rumple es nun mal. Als Moderator werde er zur Projektionsfläche von Emotionen, die nichts mit ihm als Person zu tun hätten. Ausserdem gebe es auch viele bestärkende Rückmeldungen. Er erhalte nicht nur Schmähkritik, sondern auch sinnvolle Inputs, etwa von Menschen, die in eine existenzielle Notlage geraten und von denen dann einige ins Studio eingeladen worden seien.
Wenn er in der Öffentlichkeit auf Kritikerinnen und Kritiker treffe, seien diese meistens zurückhaltend. Jemanden anonym per Mail zu beschimpfen, ist offensichtlich etwas anderes, als ihm den ganzen «Schlötterlig» ins Gesicht zu sagen.
Wiegen Unsinn und Wissenschaft gleich viel?
Eine ernst zu nehmende Kritik, mit der sich Verantwortliche jeder Diskussionssendung konfrontiert sehen, ist jene der «false balance». Bei Themen mit wissenschaftlichem Hintergrund wie Corona ist sie besonders häufig. Sie lautet: Wenn am Bildschirm zuerst ein hoch spezialisierter Virologe redet und dann jemand darauf antworten darf, der «Gegenfakten» aus dem Internet zitiert und beteuert, man solle bei der Impfung der eigenen Intuition vertrauen – wird dann nicht hanebüchener Unsinn auf dieselbe Ebene gehoben wie wissenschaftliche Tatsachen?
Es gebe keine arithmetische Formel, um das Problem der «false balance» zu lösen, antwortet Brotz. Aber wenn eine Meinung von Hunderttausenden vertreten werde, wenn Aktivistinnen und Aktivisten Referenden zustande bringen würden – dann sei es legitim, deren Verfechter öffentlich zu Wort kommen zu lassen.
Und wer bitte sei nicht fähig, die Glaubwürdigkeit eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin abzuwägen gegen irgendwelche Fantastereien? Wer gebe eine wissenschaftlich fundierte Haltung auf, bloss weil in der «Arena» jemand eine unwissenschaftliche vertrete?
«Ständig mit dem Argument ‹false balance› zu kommen», sagt Brotz, «bedeutet letztlich nichts anderes, als die Intelligenz des Publikums zu beleidigen.»
Sandro Benini ist Redaktor im Ressort Kultur und Gesellschaft. Er hat italienische und deutsche Literatur studiert und war elf Jahre lang Lateinamerika-Korrespondent mit Wohnsitz in Mexiko.
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