Interview mit Evi AllemannEin Ja von Bern und Ostermundigen hätte «Signalwirkung»
Zwischen Vision und Realpolitik: SP-Regierungsrätin Evi Allemann hat eine schwierige Aufgabe. Sie versucht, den Gemeinden die Fusionsangst zu nehmen.
Es wäre ein radikaler Umbau: Die heute kleinteilige Gemeindelandschaft im Kanton Bern würde zu grossen Einheiten zusammengefasst. Statt der heute 337 Gemeinden gäbe es noch deren 40 bis 50. Bern etwa würde sich nicht nur mit Ostermundigen verheiraten, sondern auch mit Köniz, Muri, Bremgarten, Kehrsatz und Allmendingen. Die Stadt Burgdorf wiederum würde zahlreiche Gemeinden schlucken und bis an die Grenze zum Kanton Solothurn reichen. Der Oberaargau bestünde noch aus vier Gemeinden. Diese Ideen werden in einem neuen Bericht des Regierungsrats als grossräumige Reform skizziert.
Ist das nur ein Gedankenspiel oder eine Vision, die eine Chance verdient hat? Bleibt es beim bernischen Tempo mit nur wenigen Kleinfusionen pro Jahr? Klar ist, dass der Kanton Fusionen in Gang bringen will: Als Lockmittel gibt es neu einen Zentrumsbonus ein, dieser würde ausgerichtet, wenn ein regionales Zentrum mit umliegenden Gemeinden fusioniert. Es ist mehr als ein «Göttibatzen», denn je nach Einwohnerzahl könnte sich die Unterstützung auf bis zu 3,5 Millionen Franken erhöhen. Das sieht die Revision des Gemeindefusionsgesetzes vor. Das Dossier liegt bei SP-Regierungsrätin Evi Allemann.
Frau Allemann, im Bericht werden Modelle aufgezeigt, vom Status quo bis zu einer grossen Reform. Welche Variante will der Regierungsrat denn nun umsetzen?
Der Regierungsrat hat keine Präferenz. Es handelt sich um eine Orientierungshilfe und nicht um einen verbindlichen Richtplan. Unser Ziel sind leistungsstarke und handlungsfähige Gemeinden. Dabei setzen wir einen Auftrag des Grossen Rates um. Wir haben den Werkzeugkasten für die Gemeinden erweitert. Neu sollen nebst Abklärungs- und Fusionsbeiträgen auch Zentrumsboni beantragt werden können. Damit sollen gezielt Fusionen mehrerer Kleinstgemeinden mit einer Zentrumsgemeinde, aber auch Fusionen in Agglomerationen gefördert werden.
«Fusionen müssen eine breite Unterstützung haben, um erfolgreich zu sein.»
Sie haben keine eigene Vision, wohin sich der Kanton mit seinen 337 Gemeinden entwickeln soll?
Wir haben – gerade mit dem Zentrumsbonus – zwar eine Vorstellung, aber sie steht unter der Prämisse der Freiwilligkeit. Wir wollen Abklärungen und Gespräche zwischen den Gemeinden fördern. Die finanzielle Unterstützung durch den Kanton soll als Treiber solcher Gespräche funktionieren. Doch die Gemeinden müssen selbst entscheiden. Fusionen müssen eine breite Unterstützung haben, um erfolgreich zu sein.

Sie haben Workshops mit den Gemeinden durchgeführt. Was kam dabei heraus?
Es war nicht ganz selbstverständlich, dass die Gemeindevertretungen zusammenkamen. Es geschah zum Teil vielleicht auch etwas widerwillig. Aber letztlich ist aus den Diskussionen eine Karte entstanden, welche verschiedene Möglichkeiten abbildet. Wir hoffen natürlich, dass dies etwas auslösen wird. Das Zielbild ist langfristig ausgerichtet. Welche Dynamik sich entwickelt, ist offen.
Im Bericht zu den Workshops wird deutlich, dass nur wenige Gemeindevertreterinnen und -vertreter eine radikale Reform begrüssen, viele wollen am Status quo festhalten. Statt einer Fusion bevorzugen sie die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden, die in vielen Bereichen oft schon recht intensiv ist. So wird im Bericht bezogen auf den Verwaltungskreis Bern-Mittelland etwa festgestellt: «Durch das ausgeprägte Zusammenarbeiten ist der Leidensdruck der Gemeinden aktuell relativ gering.»
Zum Teil gibt es sogar «kategorische» Ablehnung – etwa beim Vorschlag zu Grossfusionen im Emmental. Schon Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP), Allemanns Vorgänger im Amt, musste feststellen, dass Förderversuche und Anreize nur selten fruchteten.
Frau Allemann, die Begeisterung für Fusionen hielt sich bei den Workshops in Grenzen.
Fusionen sind herausfordernd, das kam in den Workshops zum Ausdruck. Kurzfristig ist es einfacher, den Status quo zu verbessern und die Zusammenarbeit mit benachbarten Gemeinden zu verstärken. Gelingt dies, so begrüsse ich das. Später erkennt man vielleicht, dass die Zusammenarbeit beim Sozialdienst, bei der Schule oder der Bauverwaltung sehr gut läuft, und stellt die Frage: Warum schliessen wir uns nicht zu einer Gemeinde zusammen? Die Workshops haben die Diskussion zur Intensivierung der interkommunalen Zusammenarbeit beflügelt.
Wo konnten Sie beobachten, dass die Zusammenarbeit am Anfang der Fusion stand?
Ich kenne keine Fusion, bei der es vorher gar keine Zusammenarbeit gab. Das war auch beim Projekt G8 der Fall, in dessen Rahmen sich Fraubrunnen und sieben weitere Gemeinden im gleichen funktionalen Raum zusammengeschlossen haben. Die Fusion trat am 1. Januar 2014 in Kraft.
«Kleine Schritte sind mir lieber als der grosse Wurf, der scheitert.»
Gerade bei diesem Beispiel, aber auch bei anderen, verlief nicht alles nach Wunsch. Und der Gemeindepräsident war während Jahren am Limit.
Es ist klar, dass eine Fusion nie einfach ist, sondern eine Herausforderung für die Gemeinden. Wenn wir am Prinzip der Freiwilligkeit und der Gemeindeautonomie festhalten, müssen wir uns überlegen, wie wir diese Prozesse am besten unterstützen können – mit Geld, aber auch mit juristischer Beratung. Beides bieten wir den Gemeinden an.
Seit G8 sind im Kanton Bern verschiedene grössere Zusammenschlüsse gescheitert. Der Elan scheint verflogen.
Es ist ein langfristiger Prozess, der Geduld erfordert. Wenn man aber ungeduldig ist und das Prinzip der Freiwilligkeit aufgibt, halte ich das nicht für erfolgversprechend. Nicht selten hatten die Diskussionen im grossen Verband doch einen Nutzen: Es kam vielleicht zu einer Fusion im kleineren Massstab von zwei Gemeinden wie bei Niederbipp und Wolfisberg. Kleine Schritte sind mir lieber als der grosse Wurf, der dann scheitert.
Mehr als ein kleiner Schritt wäre ein Ja von Ostermundigen und Bern zu einer Fusion. Ursprünglich plante man ein veritables «Grossbern» – doch andere angefragte Gemeinden wie etwa Bolligen oder Bremgarten sprangen früh ab. Nur Ostermundigen führte die Verhandlungen weiter, obwohl der Gemeinderat zuweilen die innere Überzeugung vermissen liess.
Der mit der Stadt ausgehandelte Deal scheint für Ostermundigen vorteilhaft, denn es wurden zahlreiche Sonderwünsche berücksichtigt. Trotzdem: Die Bevölkerung tut sich schwer damit, die Eigenständigkeit aufzugeben. Als Nächstes sind im Juni nun die Parlamente am Zug.

In diesem Oktober werden die Stimmberechtigten von Ostermundigen und Bern über eine Fusion entscheiden. Könnte das neuen Schwung auslösen?
Ich beobachte die Diskussionen mit grossem Interesse und bin sehr gespannt auf das Ergebnis. Wir haben die Abklärungen finanziell unterstützt. Eine solche strategische Zentrumsfusion hätte Signalwirkung und würde auch dem Geist der neuen Gesetzgebung entsprechen. Noch ein Gedanke dazu: Wenn Bern und Ostermundigen schon historisch eine Gemeinde gewesen wären, dann hätte sich etwa der Raum zwischen Wankdorf, Allmend und Burgfeld wohl anders entwickelt. Der Raum wäre möglicherweise weniger durch ein Patchwork zwischen Wohnen, Industrie und Gewerbe geprägt. Dort zeigt sich exemplarisch, wie schwierig und aufwendig es ist, die räumliche Entwicklung über die Gemeindegrenzen hinweg zu planen. Fusionen können das vereinfachen.
Das kleinere Ostermundigen fühlt sich trotz 18’000 Einwohnerinnen und Einwohnern als dörfliche Gemeinschaft und hat Angst, vom grösseren Bern geschluckt zu werden. Haben diese starken Emotionen Sie überrascht?
Mit Emotionen muss man bei jeder Fusion rechnen. Am Schluss geht es um den Alltag der Menschen: Was ist mit den Sportplätzen, den Schulen, der Abfallentsorgung? Die Bewohnerinnen und Bewohner sind stolz auf ihre Gemeinde, sie identifizieren sich mit ihr, sind in ihrer Heimatgemeinde verwurzelt und engagieren sich dort. Da ist es logisch, dass Emotionen ins Spiel kommen.
Mit dem Wechsel von den alten Amtsbezirken zu den heutigen Verwaltungskreisen hat der Kanton auf Neujahr 2010 seine kleinteilige Verwaltungsstruktur ein erstes Mal grundlegend reformiert. Die Reform ist nicht in allen Landesteilen gleich gut angekommen.
Während sich in Gebieten wie dem Emmental oder dem Oberaargau relativ geschlossene Regionen zusammenfanden, entstand mit dem Verwaltungskreis Bern-Mittelland rund um Bern ein Gebilde mit Gemeinden ganz unterschiedlichen Charakters. Gerade der ländlich geprägte Osten bekundet Mühe im Zusammenspiel mit dem städtisch tickenden Zentrum – nicht ohne Grund wollten in diesem Teil schon Gemeinden den Verwaltungskreis wechseln. Sie scheiterten aber am Nein des Kantons.

Ist auch denkbar, dass Gemeinden über die Grenzen von Verwaltungskreisen hinweg fusionieren? Gerade im ehemaligen Amt Konolfingen gibt es mit Bowil oder Linden Gemeinden, die sich eher dem Emmental bzw. der Region Thun als dem Mittelland zugehörig fühlen.
Es ist nach wie vor nicht möglich, als einzelne Gemeinde einfach den Verwaltungskreis zu wechseln, die Grenzen sind nicht infrage gestellt. Kommt aber eine Fusion zustande, so ist ein Wechsel schon heute kein Problem. Ein Beispiel dafür sind Golaten (Mittelland) und Kallnach (Seeland). Die neue, vergrösserte Gemeinde Kallnach gehört zum Verwaltungskreis Seeland.
«Unmittelbarer Auslöser für Abklärungen sind oft personelle Probleme.»
Der Kanton hat Gebiete mit flächenmässig sehr kleinen Gemeinden, etwa im unteren Emmental, und andere Gebiete mit grossen Gemeinden. Ist der Bedarf für einen Zusammenschluss bei kleinen Gemeinden generell grösser?
Die Grösse einer Gemeinde ist gar nicht so ausschlaggebend. Unmittelbarer Auslöser für Abklärungen sind oft personelle Probleme, sei es bei der Besetzung der politischen Behörden oder in der Verwaltung, wo der Fachkräftemangel zum Teil eklatant ist. Hinzu kommen vielleicht finanzieller Druck und die Erkenntnis, dass man zusammen mit dem gleichen Geld mehr erreichen kann und bessere Chancen für die Zukunft hat. Wenn sich solche Faktoren kumulieren, weckt dies das Fusionsinteresse.
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