Ups, hat das jemand gehört? Ein Schweizer Offizier redet zu viel und zu laut – er ist nicht der Erste
Im vollen Zug von Bern nach Zürich spricht ein Topmilitär lauthals über Putin und Verteidigungsministerin Viola Amherd. Immer wieder geraten durch Unachtsamkeit ungewollt Dinge an die Öffentlichkeit.

Wer kennt es nicht? Man sitzt entspannt im Zug, doch plötzlich steigt bei einer Haltestelle ein Pendler ein, der ungeniert und lauthals telefoniert, oft auch noch im Lautsprechermodus. Etwas genervt versucht man, das private Gespräch zu ignorieren, was jedoch meist nicht möglich ist – man ist quasi gezwungen mitzuhören, egal wie belanglos die Unterhaltung ist.
So ähnlich muss es einem pendelnden Journalisten ergangen sein, der jüngst während der Rushhour im vollen Intercity von Bern nach Zürich in einem Viererabteil sass und seinem lautstark telefonierenden Sitznachbarn unfreiwillig zuhörte. Mit dem wichtigen Unterschied: Beim unüberhörbaren Pendler handelte es sich um einen Offizier, der in leitender Funktion im Armeestab tätig ist und im voll besetzten Zug ein höchst vertrauliches Gespräch führte.
Wie die «Aargauer Zeitung» am Donnerstag berichtete, drehte sich das Telefonat zwischen dem Topmilitär und seinem Gesprächspartner unter anderem «um die möglichen Beweggründe des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Bezug auf den Angriffskrieg in der Ukraine». So habe der Mitarbeitende des Armeestabs erklärt, dass Putin «aus unserer Sicht» – hier sei wohl die Schweizer Armee gemeint, schreibt die Zeitung – kein irrational handelnder Akteur sei.
Amherd und Cassis seien «schwache Figuren».
Kurz darauf kritisierte er die Schweizer Landesregierung. So habe der Topmilitär sowohl Verteidigungsministerin Viola Amherd als auch Aussenminister Ignazio Cassis als «schwache Figuren» bezeichnet, die sich in der Krise «in eine Schneekugel verkriechen würden» und nur ein «Küchenkabinett» um sich scharen und ausschliesslich auf dessen Mitglieder hören würden.
Wie Armeesprecher Daniel Reist gegenüber CH Media sagte, sei eine formelle Befragung der genannten Person eingeleitet worden, nachdem die Armee Kenntnis über den Vorfall erhalten habe. Das VBS prüfe nun personalrechtliche Massnahmen, deren Bandbreite von einer Verwarnung bis hin zur fristlosen Kündigung reiche.
Die Ironie dabei: Während des Gesprächs schwärmte der Offizier «von den Vorteilen des Arbeitens im Zug», wie die «Aargauer Zeitung» schreibt.
Der Vorfall ist eine gute Gelegenheit, andere Geschichten von Indiskretionen zu erzählen, bei denen pure Unachtsamkeit im Spiel war.
Lauschangriff auf Ex-Spion im Zug
Ausgerechnet Michael Hayden, ehemaliger CIA- und NSA-Direktor und damit der Mann hinter dem wohl mächtigsten Abhördienst der Welt, wurde 2013 beim Telefonieren im Zug selber Opfer eines Lauschangriffs. Der ehemalige Topspion gab während der Zugfahrt gleich mehrere Off-the-Record-Interviews zum aktuellen Abhörskandal, bei dem enthüllt wurde, dass die NSA die Telefongespräche von mindestens 35 führenden Politikern der Welt überwacht hatte.

Dabei soll Hayden mehrfach darauf bestanden haben, als «ehemaliger hoher Regierungsbeamter» anonym zitiert zu werden – doch ein Mitreisender machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Pendler Tom Matzzie erkannte Hayden und begann, live vom Gespräch zu tweeten. So soll der ehemalige CIA- und NSA-Direktor am Telefon die Obama-Regierung schlechtgeredet und mit «Rendition und Geheimgefängnissen geprahlt» haben. Unter Rendition versteht man die CIA-Entführungen im «Kampf gegen den Terror» nach den 9/11-Anschlägen.
Nach rund 40 Minuten Livetwittern flog Matzzie jedoch auf, als Hayden von seinen Mitarbeitern gewarnt wurde und ihn zur Rede stellte. Später berichtete Matzzie allerdings, die zwei hätten danach noch stundenlang über Privatsphäre und ausländische Spionage geplaudert. Später sagte der Ex-Spion gegenüber der «Washington Post», dass Matzzie alles falsch verstanden habe und dass das alles eine «Schwachsinnsgeschichte eines linken Aktivisten» sei, der zwei Sitze entfernt Gesprächsfetzen mitbekommen habe.
Hot Mics – Ärger mit nicht ausgeschalteten Mikrofonen
Auch nicht ausgeschaltete Mikrofone, sogenannte «Hot Mic»-Vorfälle (heisses Mikrofon), haben vor allem Politiker mehrmals in Verlegenheit gebracht. So schimpfte Alt-Bundespräsident Moritz Leuenberger 2001 in einem legendären Interview mit dem Fernsehsender TV3 über «unvorbereitete Journalisten» und bezeichnete das Ganze wiederholt als «huere Scheiss».
Auch der ehemalige US-Präsident George W. Bush ging mit Journalisten vor einem vermeintlich ausgeschalteten Mikrofon nicht gerade zimperlich um. Als er im Jahr 2000 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Illinois einen alten Bekannten unter den Zuschauern sichtete, raunte er seinem Mitstreiter Dick Cheney zu: «Da ist Adam Clymer, ein Riesenarschloch von der ‹New York Times›.» Dies bekamen alle Anwesenden – inklusive Clymer – zu hören.
Während des G-20-Gipfels in Frankreich 2011 zog der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy in einem streng vertraulichen Gespräch mit Barack Obama über den israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu her. Was Sarkozy allerdings nicht wusste – etliche Journalisten hörten über ihre Kopfhörer den offenen Übersetzungskanal mit.
Zwar wurden die Journalisten kurz vor der Pressekonferenz strengstens angewiesen, ihre Kopfhörer erst anzuschliessen, wenn das Gespräch der beiden Staatsoberhäupter im Hinterzimmer beendet sei. Mehrere Personen ignorierten dies jedoch und hörten zu, wie Sarkozy über Netanyahu sagte: «Ich kann ihn nicht ausstehen, er ist ein Lügner.» Darauf soll Obama entgegnet haben: «Sie haben vielleicht die Nase voll von ihm, aber ich muss mich jeden Tag mit ihm auseinandersetzen.»

Sich ihres Verstosses bewusst, entschieden sich die französischen Medien, tagelang über den diplomatisch heiklen Gesprächsausschnitt zu schweigen. Über die Nachrichtenwebsite «Arrêt sur Images» fand der Vorfall dennoch seinen Weg in die Öffentlichkeit und zeigte, wie angespannt die Beziehungen Israels sowohl zu Frankreich als auch zu den USA in dieser Zeit waren.
Dass solche unbedachten Äusserungen von Regierungschefs durchaus grosse politische Folgen haben können, zeigt folgendes Beispiel. Als der damalige US-Präsident Ronald Reagan sich während des Kalten Krieges 1984 vor einer seiner regelmässigen Radioansprachen warmsprechen sollte, scherzte er mit den Tontechnikern rum: «Liebe Landsleute, ich freue mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass ich ein Gesetz unterzeichnet habe, das Russland für vogelfrei erklärt. Wir beginnen in fünf Minuten mit der Bombardierung.»
Dies wurde zwar nicht live übertragen, die Aufnahmen gerieten jedoch später an die Öffentlichkeit – und kamen nicht sonderlich gut an. Vor allem bei der Sowjetunion, die die Äusserungen als «feindselig» und «friedensgefährdend» verurteilte und ihre Streitkräfte vorübergehend in höchste Alarmbereitschaft versetzte. Dabei hätte es Reagan besser wissen sollen: Bereits zwei Jahre zuvor spielten Tontechniker eine seiner aufgezeichneten Mikrofonproben der Öffentlichkeit zu. Darin hatte Reagan die polnische Regierung als «eine Militärdiktatur, einen Haufen nichtsnutziger, lausiger Penner…» bezeichnet.
Wütender Funkspruch
2018 machte ein aufgezeichnetes Funkgespräch eines erzürnten Swiss-Piloten Schlagzeilen. Der Pilot war wütend, weil sein Abflugslot erneut verschoben wurde – und machte seinem Ärger über Funk Luft: «Es ist heute wieder mal zum Kotzen hier in Zürich, ich habe die Schnauze voll von diesem Drecksplatz, Entschuldigung.» Daraufhin antwortete der Tower: «Sehr professionell.»
«Seit 30 Minuten sind wir parat, der Slot wird permanent verschoben, und wir kommen einfach nicht weg von diesem Platz. Das ist auch sehr professionell», entgegnete der Pilot. Die Antwort von einer Frau im Tower: «Falls Sie Diskussionsbedarf haben, rufen Sie doch an. Das ist gescheiter als hier auf der Frequenz.» Der Pilot musste nach dem Vorfall gemäss Berichten bei seiner Arbeitgeberin Swiss antraben. Diese zeigte jedoch Verständnis über die Verärgerung des Piloten. «Trotzdem waren der Kanal und die Wortwahl für seine Beschwerde nicht angebracht», sagte Swiss-Sprecherin Karin Müller gegenüber «20 Minuten».
Sensible Dokumente

Nicht nur vertrauliche Gespräche, sondern auch klassifizierte Dokumente finden ihren Weg wegen Leichtsinns immer wieder in die Öffentlichkeit. Dies geschah 2016 etwa Ministerkandidat Kris Kobach, als er sich mit dem damals gerade neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump zu einem Gespräch vor dessen Golfclub traf, um über den Posten des Heimatschutzministers zu sprechen.
Dabei sollte Kobach Trump seine Pläne für das Amt präsentieren – und zeigte sie stattdessen gleich der ganzen Welt. Anstatt die Dokumente mit der Überschrift «Kobachs strategischer Plan für die ersten 365 Tage» in seiner Briefmappe zu verstauen, trug er sie offen und gut sichtbar für die Fotografen unter seinem Arm.

Wie US-Medien entzifferten, lautete ein Punkt seiner Agenda, potenziellen Terroristen die Einreise in die USA zu verwehren und alle Ausländer aus hochriskanten Regionen zu verfolgen. Weiter plante Kobach die massenhafte Abschiebung krimineller Ausländer und den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko.
Auch in Grossbritannien sorgt der nachlässige Umgang mit Regierungsdokumenten immer wieder für Skandale. 2021 verlegte Angus Lapsley, ein hochrangiger britischer Beamter, der zu diesem Zeitpunkt als künftiger britischer Botschafter bei der Nato gehandelt wurde, 50 Seiten hochgeheimer Dokumente des Verteidigungsministeriums. Darin ging es etwa um den Vorfall vor der Krim zwischen einem britischen Kriegsschiff und Russland sowie um Pläne für eine mögliche britische Militärpräsenz in Afghanistan nach dem Truppenabzug der Nato. Nachdem ein Fussgänger die Dokumente zufällig an einer Bushaltestelle in Kent gefunden hatte, übergab er diese der BBC, die schliesslich über den Vorfall berichtete.
Lisa Füllemann ist Redaktorin im Ressort Leben. Sie hat an der Universität Zürich Geschichte und Deutsche Literaturwissenschaft studiert.
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