
Tanja Zimmermann hat sich für den grössten Teil ihrer Laufbahn mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz beschäftigt und verrückt klingende Projekte realisiert. In enger Zusammenarbeit mit Kollegen hat sie Holz für eine Pinnwand magnetisierbar gemacht, für Türklinken antibakteriell, für Waschbecken wasserabweisend und für gewisse Anwendungen schwer entflammbar. Mit ihrer Leidenschaft für das Material hat sie es von der Praktikantin an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf mittlerweile zum Mitglied in der Empa-Direktion gebracht.
Doch was sie nun in einem handtellergrossen, durchsichtigen Kästchen präsentiert, sieht gar nicht aus wie Holz. Darin liegen leicht transparente, filigrane Strukturen: eine Art Vase, ein Konus und ein kleines Netz, alles nur wenige Zentimeter gross. «Diese Objekte haben wir mittels 3-D-Druck hergestellt, die Tinte besteht vor allem aus Cellulose», sagt Zimmermann. Dieses aus Holz gewonnene Material hat es der Forscherin besonders angetan.
Cellulose ist der Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände und dafür verantwortlich, dass ein dünner, hoher Baum selbst bei starkem Wind nicht knickt. «Wir zermahlen das Material in einem speziellen Verfahren viel feiner als üblich», sagt Zimmermann. «So erhalten wir eine mikrofibrillierte Cellulose, ein Netzwerk von feinsten Cellulosefasern. Das nutzen wir für ganz unterschiedliche Zwecke.»
Anwendung in der Medizin
Zum Beispiel für den 3-D-Druck. Das klappt dank einer besonderen Eigenschaft der mikrofibrillierten Cellulose: Wenn man das Material in Bewegung bringt, wird es flüssig. Man kann es durch die Düsen des 3-D-Druckers jagen. Sobald es gedruckt ist, wird es zu einem Gel und hält die Form. Man muss es nur noch aushärten, je nach Komposition der Tinte etwa durch UV-Licht oder in einem Ofen. Wie ein Baum sind auch diese filigranen Strukturen dank der Cellulose enorm fest. In einem Versuch hielt ein Haken aus gedruckter Cellulose das 737-Fache seines Eigengewichts.
Als biokompatibles Material ist Cellulose auch für den medizinischen Bereich sehr interessant, wie Tanja Zimmermann sagt. Eine ihrer Doktorandinnen druckt aus Cellulose sogenannte Hydrogele, die bei Kontakt mit Wasser stark aufquellen und als Wundauflage vielversprechend sind. «Wir können auch gewisse Funktionsschichten in die Hydrogele einbringen, etwa zur Entzündungshemmung», sagt Zimmermann.
Mit Cellulose lassen sich auch poröse Strukturen drucken, die sich potenziell als Knochenersatz eignen. «Beim Knochenersatz hapert es oft an den mechanischen Eigenschaften», sagt Zimmermann. «Aber die Cellulose ist sehr vielversprechend.» Bis zur Anwendung dieser medizinischen Entwicklungen sei es aber noch ein weiter Weg. «Bei allem, was in den Körper eingebracht wird, sind die Bestimmungen sehr streng.»

Zimmermann stammt aus Hamburg, wo sie die ersten 24 Jahre verbrachte. Sie sei ein Bewegungstyp, sagt die heute 51-Jährige, könne nicht lange ruhig sitzen. Früher spielte sie Volleyball, in den besten Zeiten in der zweiten Bundesliga. Zum Ausgleich vom Job beschäftigt sie sich viel mit ihrem Pferd, das sie in der Regel dreimal pro Woche reitet.
Auf den im Gegensatz zum Sprichwort zielführenden Holzweg ist Tanja Zimmermann nach der Matur gekommen. Sie habe sich immer für die Naturwissenschaften interessiert, sich aber nicht entscheiden können, ob sie Chemie, Biologie, Materialwissenschaften oder Physik studieren solle. «Daher war Holz ideal», sagt Zimmermann. «Das Material vereint all diese Disziplinen.»
So nahm sie ihr Studium an der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft in Hamburg auf. Ein Aushang für ein Praktikum führte sie in die Schweiz: Das Stadtforstamt Baden suchte jemanden für die Pflege des Jungwaldes. Der Leiter des Forstamts schickte Zimmermann unter anderem zur Empa, wo auch ein Holzwirt wie sie arbeitete. Der bot ihr ein weiteres Praktikum und dann eine Masterarbeit an.
Neue Funktionen fürs Holz
Ein wichtiger Moment war 2011, als sich Zimmermann für die Leitung der Abteilung Angewandte Holzforschung bewarb. Holz galt damals bei der Leitung der Empa als etwas verstaubtes Thema. «Mir war klar, dass ich etwas Neues vorstellen musste.» Ihre Idee: dem Holz ganz neue Funktionen verleihen, die es gewöhnlich nicht hat, oder einzelne Komponenten wie die Cellulose für neue Anwendungen nutzen. «Wir haben im Grunde geschaut, was Holz nicht kann, und es ins Gegenteil gekehrt.»
Aus den Projekten ist unter anderem eine Geige hervorgegangen, die aus mit Pilzenzymen behandeltem Holz besteht. Bei einem Blindtest schnitt sie klangmässig besser ab als eine viele Millionen Franken teure Stradivari. Das Start-up Mycosolutions könnte neben anderen Produkten künftig auch solche Pilz-Geigen herstellen. Das aus den Aktivitäten der Abteilung sowie der ETH hervorgegangene Start-up Swiss Wood Solutions verleiht Schweizer Holz die Eigenschaften von extrem festem und dunklem Tropenholz. Das «Schweizer Ebenholz» kommt zum Beispiel für Griffbretter oder Stege bei Musikinstrumenten zum Einsatz.
Um einige Innovationen zu prüfen, hat Zimmermann vorgeschlagen, das Forschungsgebäude Nest der Empa mit dem Holzmodul «Vision Wood» auszustatten. Studierende wohnen darin und testen die Funktionalität der Spezialhölzer im Alltag. Zurzeit wird der Einbau einer neuen Generation an Materialien geplant, etwa elektrisch leitfähiges Holz, das Ingo Burgert mit seinem Team von der ETH Zürich und der Empa entwickelt hat. Auch «Marmorholz» soll zum Einsatz kommen. Das ist Holz, das gezielt mit Weissfäulepilzen infiziert wird. Die Pilze erzeugen schöne Muster im Holz. Nach einer Wachstumsphase wird der Pilzbefall gestoppt und das vom Pilz designte Holz verarbeitet, etwa zu einer marmorierten Tischplatte.
Seit 2018 Mitglied der Empa-Direktion
Seit 2017 leitet Zimmermann das Departement Functional Materials, zu dem sechs Forschungsabteilungen gehören sowie ein neues Materials and Technology Center of Robotics. Im Grunde möchte sie ihre Erfahrungen mit dem Holz auf andere Materialien wie Beton und Asphalt übertragen und diese durch Funktionalisierung quasi neu erfinden. Seit 2018 ist Zimmermann zudem Mitglied der Empa-Direktion.
Vor rund zehn Jahren zog sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern in ein mehr als 200 Jahre altes Bauernhaus. Bei dessen Renovation hat sich ihr Fachwissen ausgezahlt. Da das Haus einige Zeit leer stand, waren viele Balken feucht und von Insekten befallen. Man riet ihr, diese mit Holzschutzmittel zu behandeln. «Das machen wir sicher nicht», war Zimmermanns Antwort. Stattdessen hätten sie die Balken durch Sandstrahlen vom alten Befall befreit und das Dach des Gebäudes gut isoliert. «Dann ist das Holz getrocknet – und es war Schluss mit dem Insektenbefall.»
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Eine Karriere «auf dem Holzweg»
Holzwissenschaftlerin Tanja Zimmermann und ihr Team haben dem nachwachsenden Rohstoff ungeahnte Eigenschaften verliehen.