Flocken-Forscher und Wunder-Wolke
In Kühtai im Tirol sucht man den perfekten Kunstschnee. Das Wintersportgebiet bei Innsbruck liefert eine skurrile Kulisse für die Tüfteleien.

Die Skifahrer interessieren sich nicht für das Männchen, das unten in Kühtai übers Plateau turnt. Sie mühen sich den steilen, «roten» Hang hinunter, der anderswo gewiss ein schwarzes Täfelchen bekommen hätte. Schliesslich kann niemandahnen, was Michael Rothleitner, der aus der Vogelperspektive tatsächlich wie eine Playmobil-Figur wirkt, treibt. Dabei hat er eine Vision, die das Skifahren von Grund auf verändern könnte.
Rothleitner, viele Jahre Chef der Mayrhofner Bergbahnen im Zillertal, forscht am Kunstschnee der Zukunft. Er soll weniger Wasser und Strom verbrauchen und vor allem den Wintersportlern mehr Freude bereiten. Das Problem beim Schnee aus der Kanone: Er kommt rund und kugelig daher, wie kleine Eiskörner. Beim Fahren fühlt es sich an, als würden die Ski über Styropor kratzen. Zudem entstehen auf Kunstschnee oft grossflächige Eisplatten. Ambitionierte Wintersportler und Rennfahrer kommen damit zurecht, nicht aber die Masse der Skitouristen.
Perfekte Bedingungen
Das bestätigt sich auch in Kühtai. Viele Skifahrer fluchen, wenn sie auf dem steilen Hang ins Rutschen geraten, weil die Kanten im eisigen Schnee nicht halten. Richtiger Schnee hingegen ist flauschig. Unter dem Mikroskop offenbart er eine sechseckige, fein verästelte Struktur. «Die Natur erzeugt wunderschöne Schneekristalle.» Rothleitner weiss, dass er die nicht im grossen Stil kopieren kann. «Unser Ziel ist es, dass bei der Schneeproduktion nicht mehr so viel Wasser verdunstet.»
Kühtai, der kleine Tiroler Ort östlich des Ötztals, bietet perfekte Bedingungen, um eine Schneerevolution zu starten. Die Wissenschaftler, mit denen Rothleitner zusammenarbeitet, pro-fitieren ebenso wie die Touristen von der kurzen Anreise ab Innsbruck, die durch das Sellraintal führt. Kühtai und seine Talstationen liegen auf 2000 Meter über Meer. Das garantiert einen fünfmonatigen Winter, mit vielen Sonnenstunden. Das ist sogar historisch verbrieft. Denn der Name Kühtai steht nicht etwa für die Alpkühe. Die Einheimischen leiten ihn aus dem Rätoromanischen ab und übersetzen «Kühtai» in «Sonnental». Die Lifte spannen sich wie ein Spinnennetz um den Ort. Nordhänge auf der einen, Südabfahrten auf der anderen Seite. Kühtai selbst besteht aus Hotels, Restaurants und Clubs. Eine Strasse, keine Schule, eine Kirche, kein Kindergarten.
Das Skigebiet hat einen eigentümlichen Charme bewahrt. Spitzenfahrern reichen die elf Lifte und Bahnen, die 40 Kilometer Abfahrten erschliessen, vielleicht nicht, aber Familien geniessen hier entspannte Ferientage. Ruhe und kurze Wege erfreuen auch die Wissenschaftler, die gemeinsam mit Michael Rothleitner forschen. Es braucht einen langen Atem, geht es doch um Grundlagenforschung, nicht um schnelle Erfolge.

Einem gelösten Problem folgen oft neue Fragestellungen: Auf welche Weise kann die Produktion des Kunstschnees effizienter gestaltet werden? Dazu muss Rothleitner messen, wie viel Schnee eine Schneekanone produziert, wenn Wassermenge oder -druck verändert werden. Aktuell versucht er, die erzeugte Schneemenge mit einer Digitalkamera zu fotografieren und per Computer zu vermessen. Die Menge selbst sagt auch noch nichts über den Feuchtigkeitsgehalt des Schnees aus, den man, um Wasser und Energie zu sparen, reduzieren will. Gleichzeitig soll der Schnee weicher werden. Die Wissenschaftler haben es mit Messsonden probiert, aber keine verwertbaren Daten erhalten.
So muss sich Rothleitner, der einst Chemie studierte, eingestehen, dass man in vielen Bereichen noch am Anfang steht. Auch das verwendete Wasser spielt eine Rolle: Es enthält Staubkörnchen, Mineralien, Salze oder Pilzsporen, die den Gefrierpunkt verändern. Schon jetzt ist klar, dass es kein einheitliches Beschneiungssystem geben kann, sondern ein mobiles Labor. Damit will Roth-leitner in die einzelnen Skigebiete reisen, um die Produktion individuell einzustellen.
Schnee aus der Kanone ist teuer: Um eine Hektare Grün in skitaugliches Weiss zu verwandeln, sind bis zu 20'000 Kilowattstunden Strom nötig. Letztlich hängt am Thema Beschneiung die langfristige Sicherung des Wintersports. Entsprechend breit ist das Projekt unter dem Dach des Schneezentrums Tirol aufgestellt. Die Politik gab den Startschuss. Mit im Boot sind Forschungsinstitutionen, Hersteller von Beschneiungsanlagen, Bergbahnen und Tourismusregionen. «Wir arbeiten gut zusammen», betont Willi Mareiler, Politiker und wandelndes Geschichtslexikon aus Kühtai.
Neuschnee-Arena in Lüsens
Der Wintersportort bei Innsbruck hat sich auch deswegen als Forschungsstandort qualifiziert, weil es hier bereits ein Kunstschneeprojekt gab. Um sich davon zu überzeugen, ist nur eine kurze Autofahrt ins Sellraintal nötig, der exakte Gegenentwurf zu Kühtai, obwohl beide eine touristische Einheit bilden. In der Werbung für das Tal schlängeln sich Langlaufloipen entlang der Strassen, Skitourentouristen stapfen über die steilen Hänge, Schneeschuhwanderer schauen staunend auf Eiskletterer. Es gibt einen kümmerlichen Skilift, für den sich niemand interessiert. Dafür richten sich die Blicke auf die Neuschnee-Arena in Lüsens. Dort liegt Puderschnee, der künstlich erzeugt wurde. Dahinter steckt ebenfalls eine Tiroler Erfindung: Eine Art künstlicher Wolke wurde erschaffen, aus der Schnee rieselt, als würde das Weiss vom Himmel fallen. In der Arena ist eine kleine weisse Spielwiese entstanden, auf der Jugendliche mit futuristischen Schneegefährten über Hügel und Hindernisse sausen. Die Wunder-Wolke hätte der grosse Wurf in Sachen Kunstschnee sein sollen. Allerdings sind die Mengen, die sich bisher damit produzieren liessen, so gering, dass sich die Produktion nirgends rechnet. Nun ruhen alle Hoffnungen auf Michael Rothleitner.
Die Reise wurde unterstütztvon Tirol Werbung und Innsbruck Tourismus.
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