In der Umkleide
Warum die Umkleidekabine eine der wenigen Orte ist, an denen Frauenkörper so im Zentrum stehen und zugleich so nebensächlich sind.

Als Gymnasiastin ging ich während der Sommerferien jeweils schwimmen. Mir war vage bewusst, dass fünf Wochen Zeit frei von Pflichten ein Privileg des Schülerinnendaseins war. Also lebte ich planlos in den Tag hinein, die leise Befürchtung im Hinterkopf, das Leben würde nie mehr so unbeschwert sein wie in diesen trägen Sommerwochen.
Mit dem Velo fuhr ich vom Dorf, in dem ich wohnte, ins Dorf, in dem der Geldautomat stand, und, mit dem Geld fürs Badi-Abo in der Hosentasche, ins Dorf, in dem das Schwimmbad war. Dort, im Schwimmbad, lagen die Badirentner und -rentnerinnen schon vormittags auf ihren Liegestühlen mit Sonnendach und lasen rauchend Zeitung. Es roch nach Sonnencreme, Chlorwasser und Pommes. Der Rasen war um diese Zeit noch feucht.

Es gibt eine Parallelwelt in der Badi, und das ist die Damenumkleide. Ich entdeckte sie in diesen planlosen Sommern, und sie war ein Lichtblick am Horizont der Pubertät, dieser Zeit voller Scham, Unsicherheit und Perfektionismus: Alte Frauen, die ihre faltigen Körper aus den Kleidern schälten, Brüste, die gemächlich vor sich hinschaukelten, während die nassen Badanzüge von den Haken tropften. Von Entblössen konnte keine Rede sein, Blössen gab es keine. Die Nacktheit, die Körper – sie waren einfach da. Sie waren normal und auch ein bisschen egal. Diese Gelassenheit war eine Wohltat für einen Teenager mit knochigem Körper und viel zu vielen Selbstzweifeln.
Noch heute mag ich die Damenumkleide. Es gibt wenige Orte, an denen Frauenkörper so im Zentrum stehen und zugleich so nebensächlich sind. Wenn ich im Schwimmbad die Teenager-Mädchen beim Schaulaufen auf dem Beachvolleyballfeld sehe, hoffe ich, dass auch sie den Eingang zur Parallelwelt Damengarderobe finden, wo alles ein wenig entspannter ist als draussen. Dass sie wie ich damals auf dem hölzernen Bänkli sitzen und, während sie ihre nassen Sachen ins Frotteetuch wickeln, beruhigt denken: Wenn man älter wird, wird alles besser, fünf Wochen Ferien hin oder her.
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