Neues Humor-Portal «Petarde»«In einer perfekten Welt braucht es keine Satire»
Der Berner Cartoonist Tom Künzli baut mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern das Satireportal «Petarde» auf. Es hat ihm Zuversicht beschert – «und das schlechteste Geschäftsjahr».

Irgendwann knisterte die Zündschnur. Das Crowdfunding lief, die ersten Beträge wurden gesprochen, das Projekt zog immer weitere Kreise, dann war das Geld zusammen, zuerst 120’000 Franken, dann 150’000 Franken, heute sind es über 160’000 Franken. Bezahlt haben gegen 1500 Spenderinnen und Spender, die sich vom Vorhaben überzeugen liessen, bevor es umgesetzt wurde. Ab Frühling 2022 soll die «Petarde» zünden. Dann soll die neue Satire-Plattform online gehen.
Tom Künzli, 47, hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Er empfängt uns fürs Gespräch in einem Gemeinschaftsatelier in der Berner Lorraine. Mit Regina Vetter und Andreas Ackermann (alias Oger) hatte er sich das Ziel gesetzt, eine neue Plattform für Satiriker aufzubauen. Diese Etappe ist erreicht. Doch damit ist gleichzeitig klar, dass sie noch nichts geschafft haben. «Ja, jetzt haben wir eine Bringschuld gegenüber unseren Unterstützerinnen und Unterstützern», sagt Künzli.
Am Anfang war Markus Somms Schlag auf die Pauke. Im Dezember 2020 wurde bekannt, dass der Journalist mithilfe einer Investorengruppe den «Nebelspalter» gekauft hatte. Das älteste gedruckte Satiremagazin war plötzlich in den Händen jenes Manns, der kurz zuvor gern Chefredaktor der NZZ geworden wäre und bis dahin kein augenscheinliches Faible für die Satire an den Tag gelegt hatte. Es gibt Leute, die ihm das auch heute noch absprechen.

Was hatte das zu bedeuten? Für die Zeichnerinnen und Zeichner drohte eine der wenigen verbliebenen Publikationsmöglichkeiten wegzubrechen. Deshalb wollten Künzli und seine Mitstreitenden etwas Neues lancieren. Die Idee, ein neues Heft wie den «Nebelspalter» zu lancieren, begruben sie sehr schnell. Layout, Druck, Vertrieb wären zu teuer. Also online. Und in vielen Gesprächen in der Medien- und in der Satireszene wurde schnell klar: Sie mussten breiter denken. «Mit der gezeichneten Satire können wir ein eher älteres, klassisches ‹Nebelspalter›-Publikum erreichen, aber die Jungen eher nicht.»
Denn junge Leute stehen auf Memes. Bilder mit Sprüchen. Davon kursieren Millionen im Internet. Junge Künstlerinnen, in Bern etwa die Gruppe mit dem etwas grobschlächtigen Namen Linke Fotzen, haben sich spezialisiert darauf, alle paar Tage ein Meme zu produzieren und auf Instagram ihre Follower damit zu unterhalten. Die guten Memes haben eine genauso hohe Sprengkraft wie eine gute Karikatur. Weil da wie dort im besten Fall ein grosses Stück Welt in einem Bild verdichtet wird.
Die Meme-Kultur mit ins Boot zu nehmen für die Petarde, scheint deshalb ein logischer Schritt zu sein – und doch treffen da Gegensätze aufeinander. Die meisten Memes sind betont dilettantisch gestaltet und wirken wie ein Gegenentwurf zur durchkomponierten klassischen Karikatur. Das war kein Grund für Zweifel. «Wir merkten, dass es ganz guttut, eine Mischkultur zu suchen», sagt Künzli. Und so entschieden sie sich, auch noch die Bühnensatire mit ins Boot zu holen. Ein Entscheid, der wesentlich zum Gelingen des Crowdfundings beitragen sollte.
Während die Cartoonistinnen und Cartoonisten über die Landesgrenzen hinaus gut vernetzt sind, gab es zunächst kaum Kontakte in andere Szenen. Doch das änderte sich schnell. «Wo wir auch anklopften, war die Resonanz sehr positiv.» Schliesslich präsentieren die drei auch eine interessante Idee: ein bedingungsloses Witzeinkommen. Gemäss ihrem Konzept sollen zehn Satirikerinnen und Satiriker pro Monat 500 Franken kriegen, «egal, ob sie zehn, fünf, einen Franken oder keinen Beitrag abliefern», wie Künzli sagt. Er selbst wird im ersten Jahr voraussichtlich keiner von ihnen sein.
Die Idee ist angelehnt an die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens – und durch die Diskussion über den Wert der Satire entstanden. Viel Satire, die durchs Netz geistert, ist unbezahlt, gerade bei der Meme-Kultur. Auf der anderen Seite kämpfen die klassischen Karikaturen in der sich schnell ändernden Medienbranche ums Überleben. «Wir fragten uns: Wie verwerten wir unsere Arbeit klug? Einen Klickjournalismus wollten wir nicht. Sondern Künstlerinnen und Künstler, die das beitragen, was sie beitragen wollen. Die Schere im Kopf sorgt bei den anderen Publikationen schon oft genug für Selbstzensur», sagt Künzli.
Trotz teilweise prekären Bedingungen: Die Satire bringt Heldinnen und Helden mit grosser Gefolgschaft hervor. Etablierte wie Patti Basler, Renato Kaiser oder Ruedi Widmer ziehen mit, ohne aber auf ein bedingungsloses Witzeinkommen zu aspirieren. «Die grosse Reichweite dieser Namen half sehr beim Crowdfunding», sagt Tom Künzli.
«Wir fragten uns immer wieder: Um Gottes willen, kann das nicht jemand anderes machen?»
Damit sich im Crowdfunding 160’000 Franken zusammensammeln lassen, reicht aber Goodwill allein nicht. Dafür braucht es eine Idee für ein Produkt, das viele Leute haben wollen – und eine Kampagne. Das Know-how dafür hatten die drei Zeichnerinnen und Zeichner nicht. Also erarbeiteten sie es sich, sie trafen sich mit Campaignerinnen und Vertretern anderer Medien-Projekte wie etwa «Bajour», «Kultz» oder «Tsüri». Daneben mussten das Crowdfunding und all die Zückerchen, die an die Spenderinnen und Spender abgegeben werden, lanciert und organisiert werden. Ein Riesenaufwand, der von Geschäftsführer Ivan Schneebeli koordiniert wurde.
«Wir fragten uns immer wieder: Um Gottes willen, kann das nicht jemand anderes machen?», sagt Tom Künzli und lacht. Natürlich ist er froh für dieses lehrreiche Jahr, trotz vieler schlafloser Nächte und trotz des Umstands, dass er nicht sehr oft zum Arbeiten kam. «Das war wohl mein schlechtestes Geschäftsjahr seit eh und je. Zum Glück hat meine Partnerin ein festes Einkommen.» Künzli, der seine Cartoons mit «Tomz» signiert, zeichnet für diverse Magazine, für eine Ärztezeitung, für die Spitäler, für Publikationen des Bundes. Ein lukratives Standbein ist in der Pandemie ganz weggefallen: das Livezeichnen bei Meetings und Kongressen.
«Meine Erkenntnis aus dem vergangenen Jahr ist: Wenn man einmal mit Überzeugung loslegt, ergibt sich eins ums andere. Man trifft unweigerlich auf Leute, die die Idee mit- und weitertragen», sagt er. «Und: Eine Idee verselbstständigt sich.» Er, der in gewöhnlichen Jahren im Café in sein Skizzenbuch kritzelte oder im Atelier an seinem Leuchtpult-Computer koloriert hat, ist Co-Gründer eines kleinen Medienunternehmens geworden.
Aber wer braucht schon Satire? Das erfolgreiche Crowdfunding gibt Regina Vetter, Andreas Ackermann, Ivan Schneebeli und Tom Künzli recht. Und für Künzli zeigt sich gerade in der Corona-Krise, wie wichtig die Satire als Filter in einer bisweilen happigen Informationsmenge sein kann. «Eine Krise spielt der Satire sicher in die Hände. Je struber ein Thema ist, desto einfacher ist es, dieses mit einem Augenzwinkern anzugehen.» Und weil Corona alle beschäftigt und jeden Lebensbereich betreffe, seien die Möglichkeiten unendlich, das Thema humoristisch zu untersuchen.
Eines ist für Tom Künzli gewiss: «In einer perfekten Welt würde es keine Satire brauchen.»
Michael Feller schreibt über Menschen auf und hinter der Bühne. Er ist stv. Leiter Kultur.
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