Ein konservativer Freigeist
Nachruf auf den gestern verstorbenen Verleger und Publizisten Wolf Jobst Siedler.
Wolf Jobst Siedler war eine der letzten grossen Verlegerpersönlichkeiten Deutschlands, einer, der nicht nur Bilanzen lesen konnte, sondern über Geschmack und Stil verfügte und seinen Autoren sprachlich und intellektuell ebenbürtig war. Das zeigte er nicht zuletzt, wenn er selbst schrieb: etwa über «Die gemordete Stadt», eine Polemik gegen die Zerschlagung dessen, was von Berlin übrig geblieben war, oder über den «Abschied von Preussen». Indem er das Verlorene betrauerte, liess er es noch einmal in seinem ganzen Glanz aufleben.
Seine Erinnerungen in zwei Bänden («Ein Leben wird besichtigt», «Wir waren noch einmal davongekommen») sind fast mehr ein Porträt einer dramatischen Epoche als einer Person. Siedler, 1926 geboren, hat Nazizeit, Krieg und das etwas miefige Nachkriegs-Westberlin erlebt, aber auch, mit einer Mischung aus Skepsis und Hoffnung, das wiedervereinigte Deutschland. Sein innerer Bezugsrahmen ist das Gross- und Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts (er war Nachkomme des Bildhauers Johann Gottfried Schadow und des Komponisten und Goethe-Freundes Carl Friedrich Zelter), ein Preussen auch, das nicht durch militärische Zackigkeit, sondern durch Geist, Bescheidenheit und Offenheit geprägt ist.