Im Universum des Klatsches
45 Jahre lang haben die Brüder Edmond und Jules de Goncourt ihre Zeitgenossen mit bösem Blick beobachtet und darüber Tagebuch geführt. Jetzt liegen ihre Aufzeichnungen erstmals vollständig auf Deutsch vor.
Wenn sich die vielleicht klügsten Köpfe ihrer Zeit – der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – in der damaligen Welthauptstadt des Geistes – Paris – zusammensetzen, gut essen, viel trinken und palavern, worüber reden sie dann? Natürlich über Speis und Trank. Über Politik. Über die schrecklichen Zeitungen und die noch schrecklicheren Kollegen. Über Bücher und Kritiken, Theaterpremieren, Intrigen und Infamien. Noch mehr und noch lieber aber über Liebe, Frauen und Sex. Im Grundsätzlichen und im sehr Konkreten.
Da behauptet bei einem Diner etwa Gustave Flaubert, jener Stilfetischist, der stundenlang über einer Metapher brüten konnte, der Koitus sei bloss ein eingebildetes Bedürfnis. Worauf es ankomme, sei nicht der Samen-, sondern der Seelenerguss. Hippolyte Taine, der grosse Kulturphilosoph, darauf: Er brauche es schon, alle zwei bis drei Wochen, und gehe dann ins Bordell. Dorthin gingen sie übrigens alle, die Herren Schriftsteller, und redeten gern darüber. Joris-Karl Huysmans, Verfasser des «dekadenten» Romans «À rebours», schwärmt von Hamburg als Nonplusultra der Puff-Szene. Für jeden gebe es das Richtige, für Bankiers etwa 15- bis 16-jährige Ungarinnen, die in orchideengeschmückten Zimmern ihre Kunden erwarteten.