Er kämpft von Bern aus für Frieden
Der jemenitische Autor Firas Shamsan (33) hat in der Stadt Bern Zuflucht gefunden. Er ist vor Polizeigewalt und Schlägertrupps geflüchtet. Nun hofft er, in ein neues Leben zu starten – und seinen Einsatz für Frieden fortzusetzen.

Firas Shamsan nimmt sein Smartphone. Er zeigt Videos, die er von der Stadt Bern gedreht hat – untermalt von Jodelklängen. Das Smartphone ist das wichtigste Arbeitsinstrument des Journalisten. Wie bereits in seiner Heimat Jemen dokumentiert er auch jetzt in der Schweiz seine Erlebnisse und stellt sie online.
Sie sollen seinen Followern als Inspiration dienen. «Am 14. Januar bin ich aus Malaysia hierhergeflogen», erzählt Firas Shamsan auf Englisch. Genau an diesem Tag feierte er seinen 33. Geburtstag. «Ich sehe meine Ankunft in Bern deshalb als eine Art zweite Geburt. Dafür bin ich allen Bernerinnen und Bernern sehr dankbar.»
Ein Autor im Exil
Firas Shamsan verdankt seinen Aufenthalt dem Umstand, dass Bern Anfang Jahr – als erste Schweizer Stadt – dem International Cities of Refuge Network (Icorn) beigetreten ist. Das verpflichtet sie, jeweils einem im Ausland verfolgten Autor vorübergehend Zuflucht zu gewähren. Firas Shamsan ist der Erste, der davon profitieren kann.
Im Auftrag der Stadt Bern kümmert sich das Deutschschweizer PEN-Zentrum um die Organisation und die Finanzierung des Aufenthalts. Dieses gibt Firas Shamsan im Rahmen des Programms «Writers in Exile» ein einjähriges Stipendium. Auf Wunsch kann er es auf zwei Jahre verlängern. Die Kosten von rund 50000 Franken pro Jahr trägt das PEN-Zentrum, das sich in erster Linie über Stiftungen und Mitgliederbeiträge finanziert.
Von Radikalen bedroht
Momentan wohnt Firas Shamsan in Räumen der Autorenorganisation in Bümpliz. «PEN sucht eine geeignete Wohnung für mich in der Stadt», sagt der Journalist und Autor. Er steht in seiner provisorischen Wohnstätte. Vor sich auf einem grossen Tisch liegt ein hellblaues Hemd. Firas Shamsan will es vor dem Termin mit dem Fotografen bügeln. Zwischendurch zieht er immer wieder sein Smartphone hervor, zeigt auf arabische Chatnachrichten und spielt Videos ab, die er gedreht hat.
Firas Shamsan hatte bereits im Jemen fürs Fernsehen sowie für Zeitungen berichtet. Er engagierte sich in verschiedenen sozialen und politischen Kampagnen. So kümmerte er sich beispielsweise darum, dass möglichst viele Leute wissen, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie bewaffneten Gruppen begegnen.
Auch an den Jugenddemonstrationen des Arabischen Frühlings nahm er teil. Dabei vertrat er stets die Haltung: Es braucht Veränderungen, aber ohne gewalttätige Ausschreitungen. Vor allem über seine Kulturwebsite Fantime.net, die er noch heute betreibt, plädierte er dafür, mit Kunst Neues zu erschaffen, anstatt durch Gewalt zu zerstören.
Das kam nicht bei allen gut an. Radikale Schlägertrupps griffen Firas Shamsan 2011 als vermeintlichen Verräter der islamischen Sache an. Sie verprügelten ihn und zerstörten seine Kamera. Ende 2013 floh er nach Ägypten, um von dort aus weiterzuarbeiten. Doch auch hier stiess er auf Argwohn.
Als Firas Shamsan im Februar 2014 an der ägyptischen Buchmesse für Fantime.net filmte, eskalierte die Situation. Trotz offizieller Dreherlaubnis nahm die ägyptische Polizei ihn fest. «Sie behaupteten, ich arbeite für den arabischen Nachrichtensender al-Jazeera», erzählt der 33-Jährige.
Im Gefängnis gefoltert
Die Beamten brachten ihn ins Gefängnis, setzten ihn unter Druck. Insgesamt blieb Firas Shamsan über dreissig Tage in Polizeigewahrsam. «Eines Tages verbanden sie mir die Augen, führten mich in einen Raum und schlugen immer wieder auf mich ein», sagt Firas Shamsan. Er erzählt nüchtern davon, wie er unter den Schmerzen mehrmals das Bewusstsein verlor. Seine Angst und seine Wut über die eigene Hilflosigkeit kann man bloss erahnen. Nur ab und zu wischt er sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.
An den Folgen der Misshandlungen leidet Firas Shamsan noch heute: Er hat schwere Verletzungen am Rücken und im linken Knie. Zum Gehen benötigt er einen Stock. Das Deutschschweizer PEN-Zentrum ermöglicht ihm in Bern eine Physiotherapie.
«Das Gefängnis hat mich gebrochen», sagt Firas Shamsan. Doch verbittert wirkt er nicht, sondern im Gegenteil voller Tatendrang. «Ich würde mich wieder genau gleich verhalten.» Diese Konsequenz ist umso eindrücklicher, als Firas Shamsan mit seinem sozialen Engagement teilweise sogar bei seiner eigenen Familie auf Unverständnis gestossen ist. «Meine Mutter, die sehr religiös ist, dachte, dass ich so leiden müsse, sei ein Zeichen dafür, dass Gott mich bestrafen wolle.»
Dank breiter Unterstützung von Freunden und Politikern wurde Firas Shamsan dann doch aus dem ägyptischen Gefängnis entlassen. Er reiste zurück in den Jemen. «Aber ich war krank und verängstigt. Nichts schien mehr zu klappen.» Schliesslich flüchtete Firas Shamsan vor dem Krieg in seiner Heimat nach Jordanien und nach vier Monaten weiter nach Malaysia. «Aber ich hatte kein Geld mehr und nichts zu tun. Eine Weile lang getraute ich mich gar nicht mehr, überhaupt eine Kamera in die Hand zu nehmen.»
Autobiografie schreiben
Dann kam endlich die erlösende Nachricht: Firas Shamsan kann nach Bern kommen. Was er in den ein oder zwei Jahren Stipendiatszeit machen will, weiss der Journalist schon: «Ich möchte den Arabern auf meiner Website zeigen, wie die Schweiz es schafft, so friedlich und zufrieden zu sein.» Und er möchte seine Erfahrungen aufschreiben, damit andere sie nachvollziehen können. Aber zuerst müsse er gesund werden, betont Firas Shamsan.
Wenn Shamsans Zeit in Bern abläuft, kann er entweder zurück in seine Heimat reisen oder bei einer der anderen der 60 Städte, die Icorn-Mitglied sind, ein Stipendium beantragen. «Ich würde gerne studieren», sagt der 33-Jährige. Die Geschichte radikaler Bewegungen würde ihn interessieren. «Damit ich verstehe, wie sie entstehen und was man gegen sie unternehmen kann.»
Doch das liegt noch in weiter Ferne. Firas Shamsan nimmt erneut sein Smartphone hervor, schiesst ein Selfie von sich und der Journalistin – für seine Website.
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