Flirt mit der Grenze
Pädophilie war zu fast allen Zeiten geächtet. Trotzdem blieb sie durch die Jahrhunderte ein wiederkehrendes Motiv in Kunst und Literatur – und eine Quelle vieler Missverständnisse.

Peinlich war es Thomas Mann noch fast vierzig Jahre später. Der «Tod in Venedig» war längst erschienen und von der Kritik gnädig aufgenommen worden. Die Novelle – der alternde Schriftsteller Gustav von Aschenbach verliebt sich auf einer Reise nach Venedig in einen Jüngling und wird schliesslich von der Cholera dahingerafft – war damals gewagt. Doch es war nicht so sehr die homosexuelle Gefühlsaufwallung, die Thomas Mann noch Jahrzehnte später nachts um den Schlaf brachte, oder die Befürchtung, man könnte von Aschenbach allenfalls auf ihn schliessen. Es war die Angst vor einem grundsätzlichen Missverständnis: «Pervers?», schrieb er dazu in einem niemals abgeschickten Brief. «Die Verfallenheit Aschenbachs an den Knaben Tadzio ist mit diesem recht pfuscherischen Wort nicht abzutun, denn sie ist nicht ordinäres Begehren, sondern Berauschtheit durch das Schöne.»