Brachiale, deutsche Volksmusik
Statisten: Die deutsche Band Rammstein erfüllte am Greenfield Festival in Interlaken die Erwartungen der mitsingenden, friedlichen Fanmassen.
«Ramm-Stein!», «Ramm-Stein», skandierte das Publikum, als Sänger Till Lindemann nach dem Entrollen einer riesigen Deutschlandflagge pünktlich um 23.30 Uhr am Samstag die Bühne am Greenfield-Festival betrat. Rote Federn steckten auf seinem Kopf, um den Bauch hatte er eine Metzgerschürze in Blutrot umgebunden. Dazu ein wahnsinniger Blick und als gespenstische Zugabe eine beleuchtete Mundhöhle. Der erste Song «Rammlied», der sehr an den legendären Song «Rammstein» erinnerte, brachte die Zuschauermassen in Wallung. Die Band spielte neben aktuellen Songs auch Erfolgslieder früherer Alben etwa: «Du Hast», «Du riechst so gut» «Sonne» oder «Keine Lust». Schon zu Beginn fiel auf: Hier wird nichts dem Zufall überlassen, die Show folgt einem genauen Ablauf. Die Bühne war eine riesige Maschinerie, die stampfte, rüttelte und vibrierte. Musikalisch wird Rammstein getragen von harten Gitarrenriffs und einem einfachen, treibenden Rhythmus, weiteres Erkennungsmerkmal ist das rollende «R» des Sängers. Deutsch wurde schon vorher gesungen: Vor Rammstein spielte die Band Unheilig. Brennende Statisten Heiss ging es kurz nach dem Auftakt weiter: Die altbewährten Flammenwerfer kamen zum Einsatz, teilweise getragen auf den Köpfen der Bandmitglieder. Neben Flammen gab es Knaller und Raketen; ein Inferno, zischend, explodierend, schrecklich schön. Schrecksekunden gab es im Publikum, als in einer Szene brennende Statisten über die Bühne getrieben wurden. Nicht Eingeweihte waren sich einen Moment lang nicht sicher, ob sie eben Zeugen eines schauerlichen Unfalls geworden waren. Doch wie so vieles in dieser Show war alles nur gespielt. Natürlich fehlten auch die Anspielungen auf die dunkle, deutsche Vergangenheit nicht: der Gitarrist Richard Kruspe trug rote Armbinden, im Lied «Waidmanns Heil» presste Lindemann das «Heil» so zackig hervor wie einst im Dritten Reich und die gegen den Himmel gerichteten Lichtstrahlen erinnerten nicht von ungefähr an Flakscheinwerfer. Alles schon gehabt und doch alles nur gespielt, denn wie es um die wahre Gesinnung der bösen Buben steht, demonstrierten sie im Lied «Links, 2, 3, 4», bei dem gleichzeitig mit der Hand auf die linke Brustkorbseite geschlagen wurde. Trotz aggressiver Musik: Die Fanmassen von Rammstein waren auch in Interlaken friedlich, sie liessen sich nach dem Konzert von einer Handvoll Sicherheitsleute widerstandslos Richtung Partyzone geleiten. Keyboarder im Gummiboot Rammstein-Songs leben von Tabubrüchen. Auch das aktuelle Album «Liebe ist für alle da» blieb davon nicht verschont: Im Lied «Ich tu dir weh», wird der Inzestfall Josef Fritzel von Amstetten behandelt. Das neuste Album stand in Deutschland bis am vergangenen Freitag auf dem Index für jugendgefährdende Medien (wir haben berichtet). Manchmal war die Show auch eindeutig zweideutig: Beim Song «Pussy» schleuderte der Sänger sitzend auf einem Gerät, das aussah wie eine Schneekanone, eine weisse, flüssige Masse ins Publikum – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Doch: Waren in den 1990er Jahren solche Tabubrüche noch richtige Skandale, wirkt das Ganze heute manchmal etwas bemüht. Mühelos liess sich hingegen Keyboarder Christian Lorenz, genannt «Flake» gegen Ende des Konzerts mit einem Gummiboot durchs Publikum tragen, sogar ein Fan durfte mitfahren. Die Begeisterung der Fans über gut die choreografierte, deutsche Volksmusik war grenzenlos: Mitsingen war niemals Pflicht sondern reine Freude. Beim Lied «Du Hast» streckte Lindemann das Mikrofon ins Publikum, der Refrain war deutlich zu hören. Punkt um 1 Uhr morgens war der Spuk zu Ende: Die Musiker verneigten sich, hauchten ein «Dankeschön» ins Mikrofon und verliessen die Bühne. Fritz Lehmann Konzertbericht vom Sonntag folgt. >
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