Die Fehde zweier ambitionierter Frauen
Ein Zwist der damaligen Bären-Wirtin mit einer guten Freundin führte vor bald 150 Jahren zum Bau des Restaurants Frohsinn in Utzenstorf. Benannt wurde der Gasthof nach der örtlichen Musikgesellschaft.
Andere Verkehrsmittel standen damals vor dem Restaurant Frohsinn, wie diese undatierte Aufnahme zeigt. Parkplätze und eine Gartenterrasse unterscheiden das Restaurant heute von früher. Auch den kleinen Balkon gibts nicht mehr. Bilder: Staatsarchiv des Kantons Bern, T. A Utzenstorf 30, Marcel Bieri
Haben es heute viele Gastrobetriebe schwer, gab es früher noch vielfältige Gründe, einen Gasthof zu kaufen oder sogar zu bauen. Die Leute kehrten noch häufiger ein, denn es gab weniger andere Beschäftigungen als in der heutigen Zeit. Die Entstehungsgeschichte des Restaurants Frohsinn in Utzenstorf ist aber auch für die damalige Zeit äusserst ungewöhnlich. Dieses wurde nämlich vor etwa 150 Jahren vornehmlich wegen einer Fehde zweier Frauen mit starker Persönlichkeit gebaut.
Utzenstorfs Dorfchronistin Barbara Kummer sagt, ihr sei die «kuriose Geschichte» mündlich wie folgt überliefert worden: Um 1875 habe die Witwe Anna-Maria Läng-Hübscher den Landgasthof Bären geführt. Weil ihr einziger Sohn an einer Lungenentzündung gestorben sei, habe sie eine Nichte und einen Neffen zu sich geholt, um sie als Nachfolger für den Bären aufzubauen, erklärt Kummer, die sich seit Jahrzehnten intensiv mit der Dorfgeschichte beschäftigt.
Verhängnisvoller Vorschlag
Jakob Ingold, der Neffe der damaligen Bären-Wirtin, führte die zum Gasthof gehörende Metzgerei und den Landwirtschaftsbetrieb. Er hatte zudem ein Auge auf die Pflegetochter der benachbarten Familie des Notars Marti geworfen. Kummer erklärt: «Jeweils nach Feierabend soll er an schönen Tagen im Bären-Garten gestanden haben, um dem Gesang der Singvögel zu lauschen. In Tat und Wahrheit wollte er wohl aber einen Blick über die Strasse in den Tuchladen werfen, in dem Maria Paula von Arx, genannt Pauline, waltete.»
Pauline war die Pflegetochter der Martis. Anna-Maria Marti, die Frau des Notars, und die Bären-Wirtin seien gut befreundet gewesen und hätten durchaus bemerkt, dass der junge Ingold Gefallen an Pauline von Arx gefunden habe, erklärt Kummer. Und so habe Marti der Bären-Wirtin den Vorschlag unterbreitet, die beiden könnten doch heiraten und zusammen den Bären übernehmen.
Laut Kummer nimmt die Geschichte an diesem Punkt ihre kuriose Wendung: Denn Bären-Wirtin Anna-Maria Läng-Hübscher sei ob dieses Vorschlags nicht etwa erfreut, sondern vielmehr entrüstet gewesen. Sie habe sich wohl daran gestört, dass Pauline von Arx keinen gastronomischen Hintergrund hatte. Die Freundschaft der beiden Frauen sei damit im Übrigen beendet gewesen.
Auch eine Turnhalle gebaut
Doch die Frau des Notars liess sich nicht entmutigen: Anna-Maria Marti habe sich kurzerhand entschieden, für ihre Pflegetochter am Platz ihres Elternhauses und in Sichtweite des Bären einen eigenen Gasthof zu bauen, fährt Kummer fort, wie ihr die Geschichte erzählt wurde. So entstand also der Gasthof Frohsinn. Dieser habe den gleichen Namen wie die Musikgesellschaft von Utzenstorf erhalten, sagt sie.
Der Bau des neuen Restaurants beunruhigte die Bären-Wirtin offenbar nicht: «Ein Gasthof allein bringt noch keine Gäste», soll sie gesagt haben. Utzenstorfs Dorfchronistin sagt, Anna-Maria Marti habe diesen «Spott» mitbekommen. «Da sie das wohl nicht auf sich sitzen lassen wollte und auch nicht unvermögend war, liess sie hinter dem Frohsinn kurzerhand auch noch eine Turnhalle bauen.» Laut Kummer schenkte sie diese dann dem örtlichen Turnverein. Von da an hatte Pauline von Arx als Frohsinn-Wirtin natürlich auch ihre Stammkundschaft.
Die Fehde der beiden Frauen schien aber noch nicht ausgestanden. Wie Kummer weiter berichtet, vernahm die Bären-Wirtin, dass im Obergeschoss des Frohsinns ein Tanzsaal eingerichtet wurde. «Das nahm Anna-Maria Läng-Hübscher zum Anlass, auch im Bären auszubauen und einen Tanzsaal zu erstellen.» So habe der Ehrgeiz der beiden Frauen zu reger Bautätigkeit an der Hauptstrasse geführt.
Heute eine Stiftung
Auch was die Zukunft der beiden jungen Leute betrifft, hat Kummer recherchiert. Romantisch endet die Geschichte nicht – jedenfalls nicht so, wie man es sich zu Beginn vielleicht erhofft hätte. Jakob Ingold sei ledig geblieben und 1943 gestorben, sagt Kummer. Pauline von Arx sei 2 Jahre später «sehr vermögend» gestorben. In ihrem Testament habe es wörtlich geheissen: «Zur alleinigen Erbin meines dereinstigen Nachlasses setze ich ein: meine Heimatgemeinde Utzenstorf.» Ihr Vermögen wird bis heute von der Gemeinde unter dem Namen Pauline-von-Arx-Stiftung verwaltet. Ihr Zweck ist es, Projekte im Schul-, Strassen-, Gesundheits- und Verschönerungswesen zu unterstützen.
Im ehemaligen Frohsinn an der Hauptstrasse wird übrigens bis heute gewirtet. Den letzten Wechsel gab es im Sommer 2015. Der Inder Ghansham Aggarwal gab nach 10 Jahren sein bekanntes Restaurant Sitar auf. Kurz darauf übernahm der in der Region ebenfalls bekannte Wirt Rolf Gut. Er führt das Lokal seither unter dem Namen La Rôtisseria. Der Bären hingegen ist immer noch im Besitz von Anna-Maria Läng-Hübschers Nachfahren. Die Familie Thommen-Hubler führt den Landgasthof mittlerweile in der 14. Generation. (Tobias Granwehr)
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