Ablösung der Covid-StelleRückschlag für geplante Klima-Taskforce
Die Corona-Taskforce löst sich auf. Soll auf sie eine Klima-Taskforce folgen? Ja, findet der Ständerat. Doch nun wollen Nationalräte eine andere Lösung. Klimatologe Reto Knutti warnt.

Foto: Keystone/Anthony Anex
«Gehen Sie uns ruhig weiter auf die Nerven.» Was Angela Merkel einst schmunzelnd angemerkt hat, beschreibt das komplizierte Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft ziemlich gut. Die Worte der damaligen deutschen Kanzlerin galten dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Für die studierte Physikerin Merkel war er eine wichtige Orientierungshilfe.
Das komplizierte Verhältnis beschäftigt auch die Schweizer Politik. Umstritten ist nämlich, ob eine solch interdisziplinär zusammengesetzte Expertenkommission in Zukunft auch den Bundesrat beraten soll, namentlich in Fragen des Klimaschutzes. Im Dezember hat der Ständerat eine entsprechende Motion mit 24 zu 10 Stimmen überwiesen. Nun aber hat sich die vorberatende Umweltkommission des Nationalrats – wie schon der Bundesrat – gegen den Vorstoss ausgesprochen, wie sie am Dienstag mitgeteilt hat. Mit zu 20 zu 4 Stimmen ebenfalls sehr klar. Die wissenschaftliche Beratung in der Klimapolitik sei bereits «in geeigneter Form sichergestellt».
Gemeint ist damit Proclim, die Plattform für Klimafragen, die bei den Akademien der Naturwissenschaften angesiedelt ist, hat ein Mandat von Simonetta Sommarugas Departement Uvek erhalten. Proclim ersetzt das sogenannte Beratende Organ für Fragen der Klimaänderung (OcCC), einen neunköpfigen Ausschuss und einen Expertenpool, dessen Mitglieder für konkrete Fragestellungen beigezogen wurden. Wo liegt der Unterschied zu Proclim? Das Uvek erläutert, Proclim vernetze Wissenschaftler mit unterschiedlichem Hintergrund und sei breiter abgestützt: «Die komplexen Fragen der klimatischen Herausforderungen können so besser beantwortet werden.» Dieser Ansicht ist auch die Mehrheit der nationalrätlichen Umweltkommission. Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel (SP) etwa sieht in einem solchen Netzwerk einen «Vorteil gegenüber einem fixen Expertenrat».
«Es braucht einen institutionalisierten Dialog zwischen Wissenschaft und Politik.»
Der Vorstoss kommt nun in den Nationalrat, die Causa bleibt umstritten. Das OcCC war bis zu seiner Auflösung kaum in Erscheinung getreten, ebenso Proclim. Seine Rolle als Koordinationsplattform innerhalb der Wissenschaft erfülle Proclim gut, sagt Klimawissenschaftler Reto Knutti von der ETH Zürich. «Aber das ist nicht dasselbe wie ein Politikdialog.» Es brauche einen institutionalisierten Dialog zwischen Wissenschaft und Politik. Just dies regt auch Tanja Stadler an, Präsidentin der Corona-Taskforce, die sich Ende März auflöst. Als Vorbild könnte der eingangs erwähnte Beirat der deutschen Bundesregierung dienen: Er kann selber Themen setzen und Positionen entwickeln – auch solche, die im Widerspruch zur Politik der Regierung stehen.
Solche Gremien können jedoch Unmut wecken. Beispielhaft zeigt das die Kontroverse um die Corona-Taskforce. Kritiker haben dem Fachzirkel vorgeworfen, die Angst vor dem Virus mit Horrorszenarien zu befeuern, die Auftritte in der Öffentlichkeit zur Selbstprofilierung zu nutzen und Entscheide der Politik nicht zu akzeptieren, weil er eine verengte Sichtweise habe.
Auch Klimawissenschaftlern wird vorgehalten, Politik machen zu wollen, etwa als sie 2021 die Ja-Parole zum später abgelehnten CO2-Gesetz herausgaben. In die Kritik geraten ist unter anderen Reto Knutti. Im Grundsatz gelte zwar, dass Wissenschaft Wissen schaffen und die Politik entscheiden solle. «Diese Trennung wird den Herausforderungen aber nicht gerecht, wenn es um komplexe und zeitkritische Fragen geht und Interessenvertreter mit unterschiedlichen Prioritäten im Spiel sind.» Er sei aber weder naiv noch so egozentrisch, dass er glaube, die Wissenschaft könne oder solle bestimmen, was die Gesellschaft oder die Politik tun müsse.
Die Lösung mit Proclim sieht Knutti als verpasste Chance. Auch der Schwyzer Ständerat Othmar Reichmuth (Die Mitte), Urheber des Vorstosses, ist «nicht glücklich» damit. «Es besteht die Gefahr, dass das Uvek die Expertise von Proclim nur abhole, wenn sie gerade gefragt sei, und ansonsten ignoriere.» Reichmuth wünscht sich, dass Proclim zumindest allen Departementen zur Verfügung stehe. Laut Urs Neu, Geschäftsleiter von Proclim ad interim, wäre das machbar: «Wir können mit allen Departementen zusammenarbeiten, wenn der Wunsch da ist.» Er findet den Ansatz, mit einem Netzwerk zu arbeiten, erfolgversprechender als ein fixes Gremium.
Erstes Mandat erhalten
Hinzu kommt: Letztes Jahr hat das Parlament die Gruppe Klima gegründet mit dem Ziel, den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Politik und Wissenschaft zu pflegen. Darauf verwies Bundesrätin Sommaruga in der ständerätlichen Debatte im Dezember. Zudem stellte sie klar, «dass wir mit diesem Mandat an die Proclim den direkten Draht zur Wissenschaft gesichert haben». Den Nutzen einer neuen Expertenkommission zweifelte sie hingegen an. Man habe zwar bei punktuellen Fragen durchaus gute Erfahrungen gemacht, doch berge ein solches Gremium ein «gewisses Frustrationspotenzial», weil es heisse, man arbeite viel, aber das komme dann zu wenig an beim Bundesrat oder auch in der Politik allgemein.
Einen ersten Auftrag hat Proclim bereits. Die Wissenschaftler sollen erarbeiten, wie eine klimaneutrale Schweiz im Jahr 2050 aussehen könnte. Knutti sieht sich in seinen Befürchtungen bestätigt: «Man gibt Wissenschaftlern einen Auftrag, sie schreiben ein Jahr an einem Bericht, der am Schluss ins Altpapier kommt.»
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