Raumstation-Ausstieg nach 2024Russland will Zusammenarbeit beenden: Was das für die ISS bedeutet
Nach 2024 soll Russland die ISS verlassen und will eine eigene Raumstation bauen. Für die ISS steht der geplante Weiterbetrieb bis 2030 damit infrage.

Russland will nach 2024 aus der Internationalen Raumstation ISS aussteigen, hat die Nasa nach deren Angaben bislang darüber aber noch nicht informiert. «Die Nasa ist nicht auf Entscheidungen von irgendeinem der Partner hingewiesen worden», sagt Nasa-Chef Bill Nelson. Nach wie vor sehe sich die Nasa zum Betrieb der ISS bis 2030 verpflichtet und koordiniere ihre Arbeit deswegen mit den Partnern.
Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos hatte zuvor angekündigt, nach 2024 aus dem Betrieb der ISS auszusteigen. «Natürlich werden wir alle unsere Verpflichtungen gegenüber unseren Partnern erfüllen, aber die Entscheidung über den Ausstieg aus dieser Station nach 2024 ist gefallen», hatte der neue Roskosmos-Chef Juri Borissow bei einem Treffen mit Wladimir Putin gesagt. Der russische Präsident reagierte darauf mit: «Gut».

Auch der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, sagte daraufhin, dass die russische Regierung die USA bislang nicht offiziell über jegliche solche Absicht informiert habe. Man prüfe Optionen, mögliche Auswirkungen auf die ISS nach 2024 zu mildern, sagte Kirby weiter.
Dass Russland den Ausstieg auf «nach 2024» und nicht etwas «Ende 2024» festgelegt hat, könnte auch ein Hinweis auf möglichen Spielraum sein, den sich Roskosmos offen halten will. In der New York Times sagt Weltraum-Experte Phil Larson, dass es sich auch nur um eine leere Drohung handeln könnte. Die Russen könnten die Entscheidung revidieren oder verzögern.
Es wäre zwar möglich, dass Roskosmos tatsächlich schon 2025 aussteigen will, sagt der russische Analyst Pawel Luzin, aber der Rückzug werde Zeit brauchen. Er interpretiere die Ankündigung so, dass Russland nicht bis 2030 weitermachen wolle, sondern das Projekt irgendwann zwischen 2025 und 2030 verlasse
Ohne Russland wird es schwierig
An der ISS beteiligt sind neben den USA und Russland auch Kanada, Japan und Mitgliedstaaten der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Die Nasa und Roskosmos führen derzeit die wichtigsten Sektionen der Raumstation, wobei diese voneinander abhängig sind. Die russische Seite wird von den Solarzellen der Nasa betrieben, Roskosmos hat die Kontrolle über den Antrieb, um die ISS im Orbit zu halten. Ohne die Mitarbeit von Russland kann die Station daher nicht wie bisher weiterbetrieben werden.
Was mit dem mehr als 20 Jahre alten und inzwischen pannenanfälligen Aussenposten der Menschheit nach 2024 passieren wird, ist unklar. Möglich wäre, dass Russland seine Teile der ISS an die Nasa oder eine private Firma verkauft. Die Nasa prüft zudem, ob der Orbit der Station auch mithilfe von angedockten US-Raumschiffen kontrolliert werden könnte. Das sei aufgrund der Lage der Andock-Stationen aber eher ein schwieriges Unterfangen, berichtet die New York Times. Möglich wäre auch ein Ersatz der derzeitigen Antriebs-Systeme.
Überraschend kam die Mitteilung aus Moskau nicht. Die 400 Kilometer über der Erde schwebende ISS war zuletzt in die Jahre gekommen und sorgte immer wieder wegen Pannen für Aufsehen. Nach der von Putin befohlenen Invasion in die Ukraine haben westliche Länder auch Sanktionen gegen die russische Raumfahrtindustrie verhängt, weshalb Roskosmos über massive Technik-Probleme klagt.
Russisches Modul könnte militärisch genutzt werden
Der gerade abgelöste Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin hatte die Zusammenarbeit mit den USA auch angesichts der schweren politischen Spannungen zwischen Moskau und Washington im Zuge des Krieges in der Ukraine zuletzt immer wieder infrage gestellt. Auch auf westlicher Seite lief nicht mehr alles wie gewünscht, so posierten anfangs Juli drei Kosmonauten mit einer Flagge der selbsternannten Republik Lugansk auf der ISS. Die Nasa verurteilte die Propaganda-Aktion scharf.

Der frühere Roskosmos-Chef Rogosin hatte nicht ausgeschlossen, das russische Modul von der ISS abzukoppeln und eigenständig weiter zu betreiben. Dabei deutete er auch eine mögliche Nutzung der Station zur militärischen Erdbeobachtung an.
Sein Nachfolger Borissow sagte nun, dass bis zum Ausstieg mit dem Bau einer russischen Raumfahrtstation begonnen werden solle. Der Chefkonstrukteur des russischen Raketenbauers Energija, Wladimir Solowjow, sagte, das erste Modul für die neue russische Raumstation könnte 2028 ins Weltall gebracht. Dazu müsse die Entscheidung für den Bau bis Ende dieses Jahres getroffen werden. Das Modul könne mit einer «Angara-A5M»-Rakete vom Weltraumbahnhof Wostotschny ins All gebracht werden, meinte er.
Die Pläne für eine eigene Station existieren schon länger, es fehlte aber das Geld dazu. Ab 2011 nahm Roskosmos zwar viel Geld ein, indem man Nasa-Astronauten zur ISS beförderte, weil die USA keine eigenen Raumschiffe mehr hatten. Vor zwei Jahren beschnitt die private Raumfahrt-Firma SpaceX von Elon Musk dann aber diese Einnahmequelle, seither fliegen Nasa-Astronauten nur noch selten mit einer russischen Sojus-Kapsel zur ISS.
Experte hält Pläne für unrealistisch
Der russische Experte Pawel Luzin hält es für «unmöglich», dass Roskosmos eine eigene Raumstation erstellen könnte. Ohne Kooperation mit dem Westen sei das in jeglicher Hinsicht illusorisch. Auch eine Zusammenarbeit mit China hält Luzin für unrealistisch. Die Chinesen waren früher an einer Kooperation interessiert, hätten nun aber mit Tiangong bereits mit dem Bau einer eigenen Station begonnen, welche von russischen Kapseln nicht erreicht werden könne.
Russland hatte bis 2001 seine eigene Raumstation Mir. Dort begann 1995 die Zusammenarbeit der USA und Russland im All, bevor die ISS erstellt wurde. Es war ein wichtiges Zeichen für eine internationale Welt nach dem Kalten Krieg. 2001 wurde die Mir nach 15 Jahren Betrieb im Pazifik versenkt. Dort soll dereinst auch die ISS landen.
Die ISS galt seither als ein Hoffnungszeichen der Völkerverständigung: «Das bleibende Erbe der ISS wird sehr wahrscheinlich die internationale Zusammenarbeit und ein Ort des Friedens sein», hatte der US-Astronaut Thomas Marshburn noch im Mai bei der Kommando-Übergabe an Bord der ISS an seinen russischen Kollegen Oleg Artemjew gesagt. Bis zum russischen Ausstieg soll die Zusammenarbeit auf der ISS nach Moskauer Angaben weitergehen.
Nasa könnte mit leeren Händen dastehen
Noch 2018 waren die Vorzeichen für die ISS umgekehrt, damals wollte der damalige US-Präsident Donald Trump die Gelder für die Raumstation streichen. Stattdessen sollten die wissenschaftlichen Forschungsprojekte auf privaten Stationen stattfinden. Ein Jahr später wurden dann die Pläne für die Rückkehr zum Mond bekannt gegeben. Die Nasa arbeitet derweil immer noch an einem ISS-Nachfolger, der von Privaten erstellt werden soll. Letztes Jahr hat die Behörde über 400 Millionen Dollar Fördergelder an drei vielversprechende Projekte gesprochen.
Ob diese neue Station aber bis zum geplanten ISS-Ende 2030 bereit sein werden, gilt als höchst ungewiss. Und da ein Weiterbetrieb der ISS ohne Russland schwierig wird, könnte der Nasa bald eine Lücke drohen, in der sie kein Weltraum-Labor zur Verfügung hat. Die chinesische Tiangong wäre dann die einzige Raumstation in der Erdumlaufbahn. Zwar bietet China anderen Ländern an, deren Astronautinnen und Astronauten für Forschungsprojekte auf die Tiangong mitzunehmen, der Nasa ist eine direkte Zusammenarbeit aber bislang verboten. Europäische Astronautinnen und Astronauten trainieren hingegen bereits in China.
SDA/anf
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