Demokratie und Social MediaSchaut her, wie ich abstimme!
Nicht nur die neue Frisur und das Impfpflästerli landen auf Social Media, sondern auch der ausgefüllte Stimmzettel. Wie illegal kann Selbstdarstellung sein?

«Unverbindliche persönliche Abstimmungsempfehlung» beginnt Tom Bergers Tweet. Doch der Berner FDP-Stadtrat nennt nicht einfach seine Empfehlung für den nächsten Abstimmungssonntag. Er veröffentlicht gleich das Foto des ausgefüllten Abstimmungszettels.
Dabei ist er in guter Gesellschaft: Immer wieder zeigen Menschen, wie sie stimmen und wen sie wählen. Warum auch nicht? Andere deklarieren den momentanen Stand ihrer Verliebtheit, sie zeigen, wo sie gerade was essen, halten ihr Impfpflästerli in die Kamera, kurz, sie verfolgen verschiedene Strategien, um Aufmerksamkeit und Reichweite zu ergattern.
«Das Stimmgeheimnis ist zu wahren»
Kleiner Haken: Es gibt ein Stimmgeheimnis. In Artikel 5, Absatz 7 des «Bundesgesetzes über die politischen Rechte» heisst es: «Das Stimmgeheimnis ist zu wahren.» Mehr steht da nicht. Ist es also verboten, seinen Wahlzettel auf Twitter, Facebook oder Instagram zu posten?
In Deutschland ist der Fall klar: 2017 wurden 42 Personen gebüsst, weil sie ihre ausgefüllten Wahlzettel veröffentlicht hatten. Die Gesetzeslage ist im Grundsatz ähnlich wie in der Schweiz – es gibt ein Stimmgeheimnis –, wurde aber explizit angepasst, um den Trend der veröffentlichten Stimmzettel zu stoppen.
Nicht so in der Schweiz. Der Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger hat sich auf seiner Website jüngst des Themas angenommen und hat dabei eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Er selbst kommt zum Schluss, dass der gepostete Stimmzettel kein Problem sei, und stützt sich auf den «Basler Kommentar» zum Schweizer Bundesgesetz: «Den Stimmberechtigten selbst ist es natürlich unbenommen, über ihre Stimmabgabe Auskunft zu geben […]; das (eigentliche) Stimmgeheimnis bleibt unabhängig davon geschützt.»
Der feine Unterschied
Doch ganz so klar ist der Fall nicht. Unbestritten ist der Fakt, dass jede und jeder eine Abstimmungsempfehlung geben darf. Denn damit ist noch nicht verraten, wie man tatsächlich abstimmt. Theoretisch kann es sein, eine Position zu behaupten und das Gegenteil zu stimmen – um in der Öffentlichkeit ein Bild zu wahren. Wer hingegen das ausgefüllte Abstimmungsmaterial herumzeigt, kann das nicht. So hat Nadja Braun Binder – Professorin für öffentliches Recht an der Uni Basel – in ihrer Dissertation «Stimmgeheimnis» geschrieben:
«Das Stimmgeheimnis stellt nicht nur ein Recht der stimmberechtigten Person dar, sondern gleichzeitig auch eine Pflicht. Das Stimmgeheimnis ist unverzichtbar. Die stimmberechtigte Person muss ihre Stimme so abgeben, dass ihr der Inhalt der Stimme nicht zugeordnet werden kann.»
Was jetzt? Verstösst jemand mit dem Herzeigen des eigenen Stimmmaterials gegen das Stimmgeheimnis? Eine Strafbestimmung, die dies explizit regeln würde, gibt es nicht. Es wurden in der Schweiz bislang auch weder Bussen ausgesprochen noch Stimmen annulliert. Zu Schaden kommt letztlich niemand, und wenn doch, dann selbstverschuldet.
So richtig klar ist die Lage beim Stimmgeheimnis nicht. Klar ist aber, dass, wer sein Leben auf sozialen Medien ausbreitet, wohl eher nicht viel auf Geheimniskrämerei gibt.
Michael Feller schreibt über Menschen auf und hinter der Bühne. Er ist stv. Leiter Kultur.
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