Kommentar zur Schelte SelenskisSchlecht beraten
Im Umgang mit der Türkei lässt der ukrainische Kriegspräsident Wolodimir Selenski kluge Zurückhaltung vermissen.

Der ukrainische Kriegspräsident Wolodimir Selenski ist nach allgemeiner Ansicht der beste Mann in schlechtesten Zeiten. Wer könnte das Anliegen seines vom russischen Nachbarn überfallenen Landes besser vertreten als dieser Mann? Selenski wirkt unverstellt und ehrlich, dass er ein Bühnen- und Leinwand-Profi ist, gerät bei seinen Auftritten in Olivgrün in den Hintergrund, der Bart verleiht ihm eine fast Jesus-hafte Anmutung, mitsamt Leidenskomponente.
So beeindruckend Selenskis Widerstandsappelle an sein Volk sind, seine Videoauftritte in Parlamentshallen rund um die Welt und seine Kiewer Begegnungen mit Politikern aus aller Herren Länder: Jedes Image nutzt sich irgendwann ab. Selbst das eines Wolodimir Selenski.
Kluge Zurückhaltung und diplomatisches Agieren hinter den Kulissen dienten der ukrainischen Sache manchmal vielleicht mehr.
Der Präsident wirkt nicht immer gut beraten, wenn er Solidarität einfordert mit seinem gequälten Volk, dabei aber die Zwischentöne ausser Acht lässt. Ein Beispiel ist die Selenski-Schelte an die türkische Adresse. Ankara will sich mit der Anerkennung der russischen Kreditkarte Mir ein Stück vom Kuchen sichern, am Sanktionsregime vorbei. Russische Touristen sind zahlungskräftig, aber ihre Visa- und Mastercard-Karten taugen nicht mehr in der Shoppingmall oder an der Hotelbar. Also muss Ersatz her: Mir ist willkommen bei türkischen Banken.
Selenskis Rüge ist berechtigt. Der Kartentrick hat einen fiesen Beigeschmack, Sanktionsumgehung. Nur, muss alles immer öffentlich ausgetragen werden? Muss man die Türkei als Vermittler mit Draht zum Kreml ausgerechnet vor den Kameras eines griechischen TV-Senders rüffeln?
Dass Türken und Griechen sich nicht grün sind, sollte Selenski wissen. Dass sein Appell via Athen als Affront begriffen würde, konnte er ahnen. Kluge Zurückhaltung und diplomatisches Agieren hinter den Kulissen dienten der ukrainischen Sache manchmal vielleicht mehr. Denn im öffentlichen Raum nutzt sich alles ab. Sogar die Appelle eines Mannes, der im Recht ist.
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