Demokraten verlieren wichtige StimmenWirtschaft wächst – schadet Joe Biden aber trotzdem
Die hohe Inflation und die Angst um Arbeitsplätze treiben mehr und mehr Latino-Wähler in die Arme der Republikaner. Bidens Wirtschaftspolitik zielt an ihnen vorbei.

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden steuert in den Kongresswahlen vom Herbst auf eine bittere Niederlage zu. Wählerinnen und Wähler mit Wurzeln in Mittel- und Südamerika wenden sich in nie gesehenem Ausmass den Republikanern zu. Sie fühlen sich nicht genug ernst genommen und leiden mehr als andere Gruppen unter der hohen Inflation, stagnierenden Löhnen und einer Politik, die ihren Bedürfnissen nicht entgegenkommt.
«Das Problem der Demokraten mit den Latinos ist schlimmer, als die Parteiführung glaubt», sagt Ruy Teixeira, «Working Class Joe kommt bei den Latinos, vorwiegend ist es die Arbeiterklasse, nicht an.»
Teixeiras Einschätzung ist ernst zu nehmen. 2002 schrieb er ein bahnbrechendes Buch über die «kommende demokratische Mehrheit» dank des schnellen Bevölkerungswachstums der Latinos. Teixeira prognostizierte, dass die Demokraten auf lange Zeit eine solide Mehrheit im Kongress haben würden.
Gleich viele Stimmen für die Republikaner wie für die Demokraten
Die Prognose hielt bis zur Regierung Obama an, doch 2016 mit Präsident Trump begann ein Zerfallsprozess, der 2020 zu starken Verschiebungen zugunsten der Republikaner führte und sich seither gemäss Umfragen noch einmal beschleunigt hat.
Teixeira zitiert in einem Beitrag auf seiner Website «The Liberal Patriot» Umfragen, wonach Latinos im Herbst praktisch gleich viele Stimmen für die Republikaner wie für die Demokraten einlegen wollen. Das wäre ein immenser Rückschlag, konnten die Demokraten bisher doch rund drei Viertel dieser Stimmen auf sicher verbuchen.
Noch beängstigender aus Sicht der Demokraten ist der Blick auf 2024. Sollten Biden und Trump dann erneut gegeneinander antreten, sind die Latinos gemäss einer Umfrage des «Wall Street Journal» nicht mehr gesetzte Biden-Wähler. Und dies, nachdem sie den Präsidenten 2020 noch mit einer Differenz von 25 Prozent gegenüber Trump vorgezogen hatten.
Es stimmt zwar, dass Biden ein Infrastrukturprogramm für 2 Billionen Dollar zustande gebracht und damit einen zentralen Pfeiler seiner Wirtschaftspolitik abgesichert hat. Es stimmt ebenso, dass die Wirtschaft auf Hochtouren läuft und die inländische Wertschöpfung klar stärker ist als erwartet.
Doch solche Zahlen und Programme sind nicht das, was die Latinos beschäftigt. Zum einen sind die Infrastrukturprojekte auf zehn Jahre angelegt und auf Tausende von Vorhaben verteilt. Deshalb tragen sie wenig zur Verbesserung der aktuellen Bedürfnisse einer Bevölkerungsgruppe bei, die zu 80 Prozent der Arbeiterklasse in Tieflohnbranchen angehört.
Das «Build Back Better»-Programm dagegen hätte ihnen entschieden schneller und direkter geholfen. Geplant waren günstigere Medikamente, bessere Kinderbetreuung, höhere Kinderabzüge und erschwingliche Wohnungen. Doch dies alles scheiterte im Kongress – nicht zuletzt wegen der Querelen unter den Demokraten selber.
«Die Latinos fühlten sich mit ihren Sorgen nicht mehr ernst genommen.»
Manuel Rosales, Einwanderer aus Nicaragua, Unternehmer und Vietnam-Veteran, beschreibt das Scheitern des sozialpolitischen Wirtschaftspakets als «endlosen Zirkus». Die kontraproduktive Strategie des linken Flügels der Demokraten rund um die hispanische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez sei von vielen Latinos als beschämend empfunden worden.
Dafür werden die Latinos nun mehr noch als Afroamerikaner von der auf einem Vierzig-Jahre-Hoch stehenden Teuerung getroffen. Biden machte dabei einen fatalen Fehler, als er die Inflation im vergangenen Jahr als «vorübergehend» kleinredete und die Latinos gemäss Teixeira regelrecht gegen sich aufbrachte. «Sie fühlten sich mit ihren Sorgen nicht mehr ernst genommen.»
Latino-Familien sind meistens auf den doppelten Verdienst von Mann und Frau angewiesen. Doch Gebrauchtwagen wurden innert einem Jahr um 30 Prozent teurer, und Benzin schlug um fast 60 Prozent auf. Allein die Fahrt zum Arbeitsplatz frisst somit mehrere Hundert Dollar pro Monat mehr von einem Budget auf, das auf Tieflöhnen beruht.
Gleiche Sorgen wie weisse Arbeiter
Wenn die Regierung die hohe inländische Wertschöpfung lobe, rede sie an den Latinos vorbei, sagt der Politikanalyst Carlos Curbelo. «Die Demokraten haben ein Kommunikationsproblem. Sie haben die Prioritäten falsch gesetzt.» Er verweist darauf, dass die Demokraten die Migrationspolitik als zentrales Anliegen der Latinos betrachteten, in Tat und Wahrheit jedoch die Wirtschaftslage für diese weit wichtiger sei.
Stark geschadet habe die Debatte um die offenen Grenzen. Die Mehrheit der niedergelassenen, wahlberechtigten Latinos hält die von den Demokraten vertretene Politik der offenen Grenze für verfehlt. Genau wie weisse Arbeiter leiden sie unter einem Graumarkt illegaler Einwanderer. Wie weisse Arbeiter schon vor Jahren wenden sie sich den Republikanern zu und signalisieren, dass die «kommende demokratische Mehrheit» eine Illusion ist.
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