Schüsse im Newsroom
«Aktiver Schütze. 888 Bestgate»: Die ersten, die über den Angreifer bei der «Capital Gazette» berichten, sind die Reporter im Gebäude.
Der erste Hinweis, dass in der Redaktion der «Capital Gazette» etwas nicht stimmt, kommt über Twitter. Gazette-Praktikant Anthony Messenger schreibt: «Aktiver Schütze. 888 Bestgate. Bitte helft uns.» 888 Bestgate Road ist die Adresse der kleinen Lokalzeitung in Annapolis, es ist Donnerstagnachmittag, die Redaktion arbeitet an der Freitagsausgabe.
Der Täter ist mit einem Gewehr und Rauchbomben bewaffnet, schiesst zuerst auf eine Glastür am Eingang zum Newsroom. Dann richtet er seine Waffe gegen die Menschen im Büro, tötet vier Journalisten und eine Assistentin und verletzt zwei weitere. Polizeireporter Phil Davis versteckt sich unter einem Bürotisch, hört, wie der Täter schiesst und dann die Waffe nachlädt. Er schreibt einer Polizeisprecherin, die er beruflich kennt, eine SMS: «Hilfe. Schüsse im Büro.» Er könne nicht telefonieren, sondern versuche, sich so still wie möglich zu verhalten.
Davis und andere Gazette-Reporter wie Chase Cook, der nicht im Büro ist, beginnen Informationen über den Vorfall auf Twitter zu verbreiten – bevor erste offizielle Berichte erscheinen. Wer in Sicherheit ist, meldet sich bei Angehörigen und Freunden. Im Gebäude befinden sich auch andere Büros und Arztpraxen. 170 Menschen werden unverletzt in Sicherheit gebracht.
Der Angreifer habe aufgehört zu schiessen, als sie sich noch unter den Schreibtischen versteckt hätten, berichtet Davis später den Kollegen von der «Baltimore Sun». «Ich weiss nicht, warum. Ich weiss nicht, warum er aufgehört hat, zu schiessen.»
Die ersten Polizisten sind laut einem Sprecher innerhalb von 60 Sekunden vor Ort. Als sie das Gebäude stürmen, finden sie den mutmasslichen Täter versteckt unter einem Bürotisch, die Waffe liegt auf dem Boden, nicht in Griffweite. Es kommt zu keinem Schusswechsel – sie umzingeln ihn und nehmen ihn fest.
«Er wollte Schaden anrichten», sagt Polizeichef William Krampf. «Das war ein gezielter Angriff auf die ‹Capital Gazette›.» Der Schütze habe «nach seinen Opfern gesucht». Über sein Motiv hat sich der Mann bisher nicht geäussert. Der 38-Jährige aus dem Nachbarort Laurel war 2012 in einen Rechtsstreit mit der Gazette verwickelt, den er verlor. Hintergrund war ein Artikel über einen Stalking-Fall, in den der Verdächtige verwickelt gewesen sein soll.
Der Tatverdächtige wurde stundenlang verhört und sei nur bedingt kooperativ. Inzwischen wurde er wegen fünffachen Mordes angeklagt. «Die Ermittlungen sind das, was nun am längsten dauern wird», sagt Krampf. Unter anderem sei noch offen, ob Drohungen gegen die Zeitung, die auf Social Media kursierten, auch von dem Verdächtigen stammen.
«Ja, wir bringen eine Zeitung raus»
Am Tatort suchen die evakuierten Journalisten nach ihren Kollegen. Sie trauern, versuchen zu verstehen, was geschehen ist. «Ich bin Polizeireporter. Ich schreibe über solche Dinge – nicht in diesem Ausmass, aber ich berichte über Schüsse und Tote. Doch so sehr ich auch versuche, auszudrücken, wie traumatisierend es ist, sich unter seinem Schreibtisch verstecken zu müssen, man weiss nicht wirklich, wie es ist, bis man dort ist und sich hilflos fühlt», sagt Davis in einem Interview mit der «Baltimore Sun».
Und dann ist da noch die Freitagsausgabe – die Gazette-Journalisten wollen sie unbedingt rausbringen. Befreundete Reporter unterstützen sie dabei. «Ja, wir bringen morgen eine Zeitung raus», twittert die «Capital Gazette» schliesslich. Auf dem Cover die Fotos der fünf verstorbenen Kollegen: eine Verkaufsassistentin, eine Lokalreporterin und Kolumnistin, ein langjähriger Sportjournalist, ein Leitartikel-Autor und der stellvertretende Chefredaktor.
Die «Capital Gazette» – eine der ältesten Zeitungen der USA – hat eine Auflage von rund 40'000 Exemplaren und bezieht überregionale Nachrichten von der «Baltimore Sun». Die Schwesterzeitung schreibt: «Als Journalisten haben wir über mehr Todesschüsse berichtet, als wir zu zählen bereit sind. Aber jetzt hat es unsere Familie getroffen und wir spüren den Schmerz akuter, als wir uns das vorstellen konnten.»
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