Swissaid lässt sich im Tschad erpressen
Ein Angestellter von Swissaid wird im Juni in Afrika verschleppt. Das Hilfswerk, das Glencores Erdölgeschäft im Tschad angeprangert hatte, versteht die Botschaft und zieht seine Studie mit der Kritik am Rohstoffbusiness zurück.

Am 12. Juni war die Welt von Swissaid noch in Ordnung. Das heisst natürlich: eigentlich gar nicht. Das Hilfswerk konnte in einer investigativen Recherche zeigen, dass der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore mit der korrupten Regierung im Tschad Deals einging, die undurchsichtig und damit zweifelhaft blieben (siehe Box).
Glencore, entgegen den bisherigen Gepflogenheiten, ging in die Offensive und liess sich immerhin dafür gewinnen, an einem öffentlichen Anlass in Bern Red und Antwort zu stehen.Am 14. Juni fand auch in Genf ein solcher Anlass statt, an dem ein Mitarbeiter der tschadischen UNO-Vertretung in Genf teilnahm. Strafrechtlich relevante Verfehlungen bei den Erdölgeschäften mit dem Tschad warfen die Autoren Glencore nicht vor, tschadische Regierungsvertreter hingegen kamen schlechter weg.
Brief sollte geheim bleiben
Kurz darauf wendete sich das Blatt für Swissaid. Fernab der öffentlichen Wahrnehmung in der Schweiz krebste das Hilfswerk zurück und distanzierte sich von seiner aufwendigen Recherche. Die Organisatorin entfernte den Bericht sogar von der Website. Links darauf führen ins Leere. Wie konnte es so weit kommen?
Caroline Morel, Geschäftsführerin von Swissaid, möchte eigentlich nicht darüber reden. Bisher haben die Vorkommnisse nur afrikanische Medien aufgegriffen. Zwischen dem 24. und dem 29. September publizieren mehrere Onlineportale, dass Swissaid sich zum Rückzug der Studie entschloss, um die Wogen zu glätten.
Angekündigt und begründet wird dieser Schritt in einem Brief, unterschrieben vom Präsidenten von Swissaid, Rudolf Rechsteiner, und der Geschäftsführerin Caroline Morel. Das Schreiben ist an den tschadischen UNO-Botschafter in Genf gerichtet. Es gelangte gegen den Willen von Swissaid via Tschad an die Öffentlichkeit, wie Morel erzählt. Datiert ist der Brief, der dieser Zeitung vorliegt, auf den 19. Juni, also nur sieben Tage nach der Publikation der Studie.
Studie stimmt, sagen Autoren
Warum sollte eine Organisation, welche die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative mitträgt und sich in der laufenden Aktienrechtsreform für strengere Regeln für Rohstofffirmen einsetzt, so etwas tun? Sind ihr in der Studie Fehler unterlaufen, wie verärgerte tschadische Regierungsvertreter reklamieren?
«Das war eine Mogelpackung.»
Doch die Studie wurde vor der Publikation immerhin integral Glencore vorgelegt. Durch dessen Bemerkungen sahen sich die Autoren nicht zu Anpassungen veranlasst. Lorenz Kummer, Mitautor der Studie, hält auf Nachfrage an sämtlichen Darstellungen fest. Dreizehn Tage nach deren Veröffentlichung räumte sogar der tschadische Präsident Idriss Déby in einem Interview ein, die Verträge mit Glencore seien «unverantwortlich», ja, eine «Mogelpackung» gewesen.
Es habe Insiderhandel gegeben, eine Untersuchung sei im Gange. Gemäss jüngsten Informationen aus dem Tschad von Mitte Oktober bindet die Regierung den Einfluss des Unternehmens per 2018 zurück. Die Profite aus dem Erdölgeschäft sollen im Inland bleiben.
Um besser zu verstehen, was Swissaid also zu diesem ungewöhnlichen, ja unverständlichen Schritt bewogen hat, muss man die Hauptaktivitäten des Hilfswerks kennen. Zwar sind Recherchen im dubiosen Rohstoffhandel seit geraumer Zeit ein Tätigkeitsfeld. Swissaid ist insgesamt aber ein klassisches Hilfswerk, dass in Partnerländern Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit vorantreibt.
Der Tschad, eines der ärmsten Länder Afrikas, gehört seit langem dazu. Auf den seit 1965 gewachsenen Kontakten zur lokalen Bevölkerung bauen die Recherchen in der nun aus dem Internet entfernten Studie auf. Swissaid-Angestellte im Tschad verschafften den Autoren des Berichtes Zugang zu betroffenen Landbesitzern, die unter den oft rücksichtslosen Praktiken beim Rohstoffabbau zu leiden hatten.
Chauffeur wurde entführt
Diese Swissaid-Angestellten im Tschad sind das schwächste Glied in der Kette. Wurde auf sie Druck ausgeübt, was wiederum erklären würde, warum Swissaid so rasch klein beigab? Der erwähnte Brief an den tschadischen UNO-Botschafter nimmt darauf Bezug: Explizit wird darin auf die Sicherheit der Swissaid-Mitarbeitenden im Tschad angespielt. Die Studie sei von Schweizer Mitarbeitenden erstellt worden, um hier in der Schweiz den politischen Prozess zur Regulation des Rohstoffhandels voranzubringen (siehe Box).
In diplomatisch verschlüsselter Sprache nimmt das Schreiben auf Repressionen Bezug, die sich nach der Veröffentlichung der Studie ereignet hatten. Der tschadische Chauffeur des Hilfswerks wurde verschleppt und für einige Tage festgehalten. Sein Fahrzeug wurde beschossen. Caroline Morel bestätigt die Vorfälle. Der Chauffeur sei inzwischen wieder frei, das Auto hingegen bleibe unauffindbar und sei nun als gestohlen gemeldet.
Nähe zu Kriminellen
Swissaid hat die Konsequenzen gezogen. Die Organisation liess die beanstandete Studie verschwinden. Morel stellt zumindest in Aussicht, dass sie im neuen Jahr in «aktualisierter» Form wieder aufgeschaltet werden soll. Ob Swissaid künftig noch Recherchen betreiben wird im Rohstoffsektor, ist offen.
Laut Morel sind zwar noch keine definitiven Entscheide gefallen, das bisherige Team aber arbeitet bereits nicht mehr für das Hilfswerk. Zu hören ist zudem, man wolle sich auf die Kernaktivitäten konzentrieren, also die klassische Entwicklungszusammenarbeit.
Swissaid würde dann das Feld Public Eye überlassen, der zweiten Schweizer Nichtregierungsorganisation (NGO), die im boomenden Rohstoffsektor der Schweiz für Unruhe sorgt. Im Unterschied zu Swissaid gefährdet Public Eye keine eigenen Entwicklungsprojekte mit unliebsamen Publikationen.
Eigene Projekte in Staaten mit korrupten Regimes machen Swissaid erpressbar, Schlagzeilen, welche die NGO vermeiden wollte. Näher betrachtet jedoch wirft diese Episode ein Schlaglicht auf die – entgegen den Beteuerungen von Schweizer Rohstofffirmen – doch weniger harmlosen Praktiken im Rohstoffabbau beziehungsweise im Rohstoffhandel.
Swissaid musste schmerzlich erfahren: Wer den Mächtigen zu nahe tritt, wird unzimperlich behandelt. Auch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten hat Kenntnis von den Vorfällen und weiss um die Entführung. Tschadische Regierungsvertreter hätten ihrem Ärger zuerst bei der Schweizer Vertretung im Land Luft gemacht. Dort habe man erklärt, dass Swissaid den Bericht unabhängig als zivilgesellschaftliche Organisation verfasst habe. Mehr habe man nicht unternommen.
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