Pro und KontraSoll die Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat?
In einer Sonderdebatte muss das Parlament entscheiden, ob das Land für das Gremium der Vereinten Nationen kandidieren soll. Die Debatte läuft auch in der Tamedia-Redaktion.

Ja. Im Sicherheitsrat kann die Schweiz Stärken ausspielen.
Die SVP zwingt das Bundesparlament, sich abermals mit der Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat zu befassen. In einer Sonderdebatte mitten in der Frühlingssession werden National- und Ständerat eine SVP-Motion diskutieren, die einen Kandidaturverzicht fordert.
Die Rechtsbürgerlichen provozieren damit eine Phantomdebatte. Die Hoheit über dieses Dossier liegt beim Bundesrat, nicht beim Parlament. Der Wahltermin ist bereits am 22. Juni. Sollte der Bundesrat die Kandidatur jetzt zurückziehen, würde sich die Schweizer Aussenpolitik nach einer langen Wahlkampagne komplett unglaubwürdig machen. Kein Staat stellt aktuell infrage, dass die Schweiz in den Jahren 2023 und 2024 als nicht ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat Platz nimmt.
Durchaus verständlich ist die Ansicht, dass die politisch neutrale Schweiz aufgrund ihrer Wesensart kein prädestiniertes Mitglied für den UNO-Sicherheitsrat ist. Wenn Grossmächte ihr politisches Powerplay aufziehen, von ihrem Vetorecht Gebrauch machen und im äussersten Fall über Leben und Tod entscheiden, passt das nicht zu einem friedliebenden, unabhängigen Kleinstaat wie der Schweiz.
Nein. Die Stärken der neutralen Schweiz liegen ausserhalb des Sicherheitsrats.
Im UNO-Sicherheitsrat wird über die Rechtmässigkeit von Kriegen entschieden. Im Zentrum dürfte dabei für die nächsten Jahre ein Machtkampf stehen, der sich im Dreieck Russland-China-USA bewegt. Die Schweiz hat in diesem Kampf nichts verloren. Ihre Stärken liegen anderswo.
Die Neutralität wird angesichts der Schweizer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat nur oberflächlich diskutiert. Es geht dabei meist nur um die innenpolitische Frage nach Schaden oder Nutzen. Vergessen geht dabei, dass die Neutralität schweizerischer Ausprägung im Vergleich zur UNO ebenfalls einem Friedensprojekt entspricht, dem von links bis rechts Priorität beigemessen werden müsste. Die Schweizer Neutralität im heutigen Sinne besteht seit dem zweiten Pariser Frieden von 1815. Die Schweiz beschritt danach den Weg kleinstaatlicher Begrenzung. Sie opferte dafür äusseren Glanz und Ruhm. Bis heute erleichtert diese Neutralität die persönliche Stellungnahme der Bürgerinnen und Bürger; sie können ihre aussenpolitischen Ansichten frei äussern, ohne staatlich vorgegebenen Machtinteressen folgen zu müssen. Zur Neutralität verpflichtet ist allein der Bundesrat.

Dieser muss sich heute bewusst sein, dass Neutralität nicht feiges Abseitsstehen bedeutet, wenn andere sich balgen. Neutralität ist vielmehr geleitet von Friedenssehnsucht, die eng verbunden ist mit freiwilliger Solidarität. Diese gebietet zivile Hilfe und machtpolitisch unverdächtige Vermittlung zwischen Streitenden. Eine Schweiz im Sicherheitsrat beschädigt das Friedensprojekt Neutralität. Dies ist sogar dann der Fall, wenn sie sich der Stimme enthält. Enthaltung wird von der einen Seite als Parteinahme zugunsten der anderen interpretiert.
Weshalb aber sollte eine Schweiz ausserhalb des Sicherheitsrats heute nicht Leitstrahl sein für andere? Eine neutrale Ukraine, nach Schweizer Vorbild, müsste zwar ihre Nato-Träume begraben, dafür hätten die Grossen dem Land aber territoriale Unversehrtheit zu garantieren. So, wie es 1815 auch die Russen taten, als es um die Schweiz ging.
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