Rachmaninow in der TonhalleSpitzendirigenten tauschen ihre Orchester in Zürich
Vor 150 Jahren wurde der Komponist Sergei Rachmaninow geboren. Das Tonhalle-Orchester und die Philharmonia wagen zum Jubiläum einen Personalwechsel.

Sergei Rachmaninow soll schon mit 25 Jahren ein «sehr alter Komponist» gewesen sein. Die Worte sind von einem nicht minder berühmten Russen überliefert, von Igor Strawinsky.
Der Grund für das vernichtende Urteil: Der am 1. April 1873 geborene Künstler bediente sich bis zu seinem Lebensende 1943 einer romantischen Tonsprache. Und noch im amerikanischen Exil gefiel sich der Komponist, Pianist und Dirigent in der Pose des russischen Aristokraten. Die anhaltende Popularität mancher Werke legen ihm Kritiker als Schwäche aus. Statt den Sprung in die Moderne zu wagen, gehe Rachmaninow mit sentimentalen, üppig orchestrierten Gesten hausieren, so der Vorwurf.
Befreundete Maestri
Was tun? Zwei der bedeutendsten Klangkörper des Landes, das Tonhalle-Orchester und die Philharmonia Zürich (das Opernhaus-Orchester), wagen zu Rachmaninows 150. Geburtstag ein Experiment: Sie tauschen ihre Dirigenten. Tonhalle-Chef Paavo Järvi und Operndirigent Gianandrea Noseda leiten je zwei Konzerte eines Klavierzyklus, wobei sie einmal ihr eigenes Orchester dirigieren, darauf jenes des Kollegen.
Dass hierbei Schwächen und Stärken offen zutage treten können, nehmen die beiden Maestri offenbar in Kauf; Noseda und Järvi sind seit vielen Jahren befreundet. (Lesen Sie hier das Järvi-Porträt «Er mag es direkt».)
Den Reigen haben Noseda und Philharmonia im Februar mit einer Matinee im Opernhaus eröffnet. Im Wissen, dass Rachmaninows Orchesterwerke klaren Erzählmustern folgen und Bezüge zu Literatur und Ballettmusik aufweisen, spielen die Musikerinnen und Musiker ihre Hausmacht aus: Die Blechbläser fahren im dritten Klavierkonzert mit Fanfaren mächtig auf, Flöten mahnen subtile Töne an, die Streicher lullen das Publikum mit ihrem warmen Klang ein. All dies wirkt – nach einem harzigen Beginn – sinnlich, theatralisch.
Nicht zuletzt dem Solisten des Stücks, dem bekannten Pianisten Yefim Bronfman, wird Raum zur Entfaltung gewährt. Er füllt ihn bravourös, unter anderem mit der dichten, langen, schwierigen Ossia-Kadenz.
Nach der Pause, in der Tondichtung «Die Glocken», wird das Klangspektrum nochmals geweitet. Seufzerbewegungen scheinen sich im Wechsel von Orchester, Opernchor und Gesangssolisten zu verselbstständigen, Echo-Effekte den Raum zu vertiefen. Man erlebt auch Aha-Momente: Wuchtige Pendelbewegungen, wie man sie aus Rachmaninows Klavierwerken kennt, werden in diesem «Glocken»-Stück exemplarisch vorgeführt. Ein überwältigendes, lehrreiches Erlebnis.
Glamour in der Tonhalle
Beim Tonhalle-Orchester, das sich diese Woche Rachmaninow widmete, erlebt man ein qualitatives Auf und Ab. Die erste Konzerthälfte mit dem Klavierkonzert Nr. 2 und der Pianistin Yuja Wang ist auf Show getrimmt: Im roten Kleid betritt die Solistin die Bühne und stürzt sich mit Moll-Akkorden ins Abenteuer. Leider entwickeln die Melodien unter ihren Händen kaum Zugkraft; zu kurzatmig ist die Phrasierung, zu unberechenbar das Tempo. In Steigerungsläufen droht sie im Orchesterklang unterzugehen. Maestro Järvi ist um Koordination bemüht.
Die Stärke der Pianistin sind virtuose Läufe und Sprünge. Diese kann sie im finalen Satz sowie in einer der beiden Zugaben, den «Carmen Variations» nach Bizet und Horowitz, unter Beweis stellen. Dafür erntet sie bei der Aufführung am Donnerstag stehende Ovationen.

Das Orchester blüht in einem Spätwerk, der dritten Sinfonie, auf. Hier lernt man einen etwas anderen Rachmaninow kennen – einen, der mit harmonisch ungebundenen Motiven experimentiert und durchaus modern wirkt. Järvi und das Tonhalle-Orchester verblüffen mit ihrem technischen Können und schierer Spielfreude. Sie spielen die Sinfonie so, als handle es sich um einen Strassenfeger Rachmaninows.
Man darf gespannt sein, was Järvi und das Tonhalle-Orchester bei der Fortsetzung des Zyklus im Herbst aus dem Hut zaubern. Bislang haben die Kollegen von der Oper mit der fast rundum geglückten Matinee die Nase vorn.
Der Rachmaninow-Zyklus geht am 8., 10. und 11. November in der Tonhalle Zürich und im Opernhaus weiter.
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