Er kann der neue Usain Bolt werden
Im Letzigrund liefert Noah Lyles, der 21-jährige Amerikaner, in 19,67 Sekunden eine weitere Kostprobe seines Talents.

Kurz nach 21 Uhr steht er da, der klare Favorit. Auf Bahn sechs hat er sich eingefunden. Man ist sich einig: Der Sieg über 200 Meter wird an ihn gehen. An Noah Lyles, 21, Supertalent, Musterathlet. Einziger ernsthafter Konkurrent: Ramil Guliyev, 28, Weltmeister, Europameister.
Neben ihnen, auf Bahn sieben, steht Alex Wilson. Dem EM-Dritten gehört der grosse Applaus des Publikums, so hat es sich der 27-jährige Basler vor dem Rennen gewünscht. Die folgenden 20 Sekunden gehören allerdings vor allem Lyles.
Vor zwei Jahren hätte kaum jemand mit dieser Entwicklung gerechnet. Doch Lyles hat sich über die halbe Runde in beeindruckendem Tempo an die Spitze katapultiert. Guliyev, der für die Türkei startende Aserbeidschaner, verblüffte zwar an der WM 2017, als er zu Gold sprintete, galt aber als Überraschungssieger.
Bildstrecke: Weltklasse Zürich
Lyles dagegen hat seine Bestzeit in diesem Jahr gleich um 25 Hundertstel verbessert; bei 19,65 liegt sie mittlerweile, mehr als vier Zehntel unter der Zeit von Guliyevs WM-Goldlauf in London. Niemand lief 2018 schneller über die 200 m als Lyles. Ohnehin waren es in der Sprint-Geschichte nur acht Athleten.
Lyles hängt die gesamte Konkurrenz ab – klar
Obwohl Lyles wie Usain Bolt einer der schlechteren Starter ist, kommt es nicht überraschend, dass er sich bereits nach der Kurve absetzt. Als er die Ziellinie überquert, bleibt die Uhr bei 19,67 stehen. Die Konkurrenz ist chancenlos, Guliyev kommt als Zweiter mit dem beträchtlichen Rückstand von 31 Hundertsteln ins Ziel. Dritter wird Jereem Richards in 20,04.
Mit derselben Zeit war Alex Wilson in Berlin Schweizer Rekord gelaufen. Die erneute Verbesserung verpasst er deutlich. Er wird in 20,40 gestoppt. «Ich hoffe, dass das Publikum mich zum Schweizer Rekord pushen wird», sagte Wilson noch am Mittwoch. Daraus wird nichts. Er sagt in seiner typischen Art: «Es war anstrengend.»
Noah Lyles füllt die Lücke im Männersprint, die mit Bolts Abgang entstanden ist.
Sprinter des Abends ist so Noah Lyles. Er schwebt derzeit sowieso über dem Rest der 200-m-Läufer, hat fünf Diamond-League-Meetings in dieser Saison gewonnen, inklusive des Finals. «Ich kam hierher, um zu gewinnen», sagt er nach dem Rennen. Trotzdem kritisiert er sich: Mit seinem Start sei er nicht zufrieden. «Das werde ich noch besser machen.»
Nun jagt er die Weltrekorde von Usain Bolt
Sein Ziel für Zürich war eine persönliche Bestzeit. So hat er es am Tag vor dem Start angekündigt. Dafür ist er an diesem Abend zwei Hundertstel zu langsam. Doch Lyles ist hungrig. Zwar sind ihm Medaillen wichtiger als Zeiten. Aber auf die Frage, ob er die Weltrekordzeiten kenne, antwortet er: «Ja. Und ich werde sie brechen.» Er meint die Marken von Usain Bolt, 9,58 über 100 Meter, 19,19 über 200 Meter. Mit 21 lief Bolt langsamer als Lyles, seine Bestzeit über 200 m lag 2007 bei 19,75. Lyles prophezeit, diese Leistungen seien für ihn schon bei Olympia 2020 möglich. Vollmundige Worte.
Noah Lyles scheint eine grosse Lücke im Männersprint füllen zu können, die seit Bolts Abgang besteht. Wie der Jamaikaner mag er die Aufmerksamkeit, wie Bolt hält er schon zu Beginn seiner Karriere mit den Besten mit, ja bezwingt sie sogar. Sein grosser Widersacher ist Ramil Guliyev, dieser geheimnisvolle Mann mit Bart, Tattoos und Sonnenbrille. Gefährlich sieht er aus, ist aber ein netter Kerl.
Lyles sagte vor dem Rennen: «Wenn acht Athleten am Start stehen, alle mit dem gleichen Ziel, alle mit anderen Hintergründen, das ist, was ich an unserem Sport liebe.» Vor allem, wenn er am Ende der Schnellste ist.
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