
Nach wie vor weiss man nicht, wer die Drahtzieher der Ibiza-Affäre sind, die die Rechtspopulisten aus der österreichischen Regierung verjagt haben. Sicher ist nur, dass die Aufzeichnungen aus dem Jahr 2017 stammen und schon länger in der Wiener Journalistenszene herumgeisterten. Warum es bislang niemand veröffentlichen wollte und warum das Material nicht schon vor den damaligen Wahlen in Österreich publik wurde, diese Fragen sind ungeklärt.
Dennoch zeigte sich Tristan Brenn, Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, begeistert. In einem Tweet jubelte er: «Der Fall #Strache zeigt, wie eminent wichtig versteckte Bild- und Tonaufnahmen bei der Recherche sind. Demokratieschädigende Hinterzimmer-Deals von Politikern gehören an die Öffentlichkeit».
Das wiederum provozierte Verleger Roger Köppel, der das Video als «schwer kriminelle Abhör und Geheimfilm (sic!)-Methode» brandmarkte. Zwei klare Meinungen – die doch beide haarscharf am eigentlichen Punkt vorbeizielen.
In Fragen der verdeckten Recherche gibt es kein Schwarz und Weiss – es ist immer eine Frage des Abwägens. Und dafür muss man zuerst einmal begrifflich klären, worum es sich hier handelt. In diesem Zusammenhang ist auch Brenns Aussage brisant, denn es handelt sich hier ja eben gerade nicht um eine «verdeckte Recherche» von Journalisten. Solche sind zuweilen tatsächlich aufschlussreich: Man denke an die heimlichen Aufzeichnungen, die den Cambridge-Analytica-Skandal erst richtig auffliegen liessen.
Oder die heimlichen Tonaufnahmen im Winterthurer Islamisten-Milieu. Im Fall Ibiza drängt sich ein anderer Begriff auf, nämlich «Kompromat» – so pflegt der russische Geheimdienst Material zu nennen, das dazu hergestellt wird, um einer Person zu schaden.
Nun, es ist nicht neu, dass Journalisten Material zugesteckt bekommen. Und jedem Journalisten muss klar sein, dass immer die Gefahr besteht, dabei instrumentalisiert zu werden. Entscheidend ist, was man über die Quelle weiss und ob man ihre Motive kennt. Oder ob man es eben nicht weiss und damit zum Spielball von Kräften wird, deren Absichten unklar sind.
«Was, wenn jemand solche Kompromate herstellen lassen würde, um der Demokratie oder der Presse zu schaden?»
Eine andere Frage ist, ob eine Redaktion solches Material öffentlich machen soll. Dies kann man im vorliegenden Fall klar mit einem Ja beantworten. Beide Titel veröffentlichten nur kurze Ausschnitte aus dem Video und selbst die Entscheidung, das alles als Video zu veröffentlichen, war richtig, damit sich jeder selber ein Bild von den Machenschaften der FPÖ-Spitze machen kann.
Und trotzdem: Jemanden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in eine Villa zu locken und alles aufzuzeichnen, ist ein massiver Eingriff in die Privatsphäre, der allen medienethischen Regeln der Recherche widerspricht. Die Aufzeichnungen sollen insgesamt sieben Stunden umfassen, es ist also anzunehmen, dass die alkoholisierten Protagonisten noch viel mehr gesagt und getan haben, woran die Öffentlichkeit sich stören könnte. Und wir können mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auch solche Ausschnitte den Weg an die Öffentlichkeit finden werden. Bereits geistern Vorwürfe von Kokainmissbrauch herum, im Internet werden dazu auch Bilder feilgeboten. Hier stellt sich dann die Frage, ob das auch richtig ist.
Auch wenn man keinerlei Sympathie für Politiker wie Strache hegt, darf man dieses Vorgehen kritisieren. Was, wenn jemand solche Kompromate herstellen lassen würde, um der Demokratie oder der Presse zu schaden? Würde Tristan Brenn dann immer noch jubeln? Schliesslich sind Menschen aus allen politischen Spektren anfällig für Korruption und Laster?
Von Journalisten kann man solche Überlegungen erwarten – und dann auch die gebotene Zurückhaltung, wenn es um die Bewertung der Quelle geht. Denn solange wir deren Motive nicht kennen, sind wir vielleicht nur nützliche Idioten.
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Und jetzt die grosse Frage: Wer steckt hinter dem Ibiza-Video?
Nachdem das Strache-Video seine Wirkung getan hat, geht die Debatte um die Motive los. Roger Köppel hat dazu eine klare Meinung.