Wetterextreme und KatastrophenjahreVerdorrte Felder, hungernde Menschen und exorzierte Mäuse
Durch den Klimawandel werden Extremereignisse auch im Kanton Bern zur Norm. Was uns erwarten könnte, zeigt ein Blick in die Vergangenheit.

Wenn von Sommerhitze die Rede ist, denkt man an das Jahr 2018 oder an 2003 – oder an das aktuelle Jahr. Doch 1947, zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde Europa von einer anhaltenden Hitze und Trockenheit heimgesucht, die auch für die heutige Zeit der beschleunigten Klimaerwärmung aussergewöhnlich ist.
Zeitzeugen berichten von wahnsinniger Hitze, staubigen Äckern, verdorrten Feldern und Futtermangel für die Nutztiere, die zu Tausenden notgeschlachtet werden mussten. Der Bundesrat schätzte die Schäden für die Landwirtschaft auf über 200 Millionen Franken.
Der Sommer 1947 war in der Schweiz der heisseste seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen 1864. Die Niederschlagsmengen waren im Sommerhalbjahr sehr gering und erreichten im Mittelland nur etwa die Hälfte des Üblichen. «Der Sommer dauerte ausserordentlich lange und war von fünf Hitzewellen geprägt», sagt Klimatologe Stefan Brönnimann, Professor am Geographischen Institut der Universität Bern. Gegenden wie das Emmental und der Jura waren stark betroffen. Am wenigsten Regen fiel im Norden zwischen Schaffhausen und Basel.
«Bei der Trockenheit ist das Jahr 1947 nach wie vor ungeschlagen. Ernten fielen aus, Gletscher schwanden, Wälder trockneten aus.»
Ein Team um Noemi Imfeld, Doktorandin am Geographischen Institut, hat Ursachen und Folgen des Extremjahrs 1947 untersucht und mit den Hitzesommern von 2003 und 2018 verglichen. Noch in der zweiten Hälfte des Septembers war es demnach an mehreren Tagen hintereinander über 30 Grad heiss. Die damaligen Hitzerekorde wurden erst 2003 gebrochen. «Bei der Trockenheit hingegen ist das Jahr 1947 nach wie vor ungeschlagen, auch das laufende Jahr wird nicht trockener sein», sagt Klimaforscher Brönnimann. «Trockenheit und Hitze führten zu einer Dürre. Ernten fielen aus, Gletscher schwanden, Wälder trockneten aus.»

Erschwerend kam hinzu, dass die «grosse Dürre» viele Länder in Europa betraf. Deutschland, das zwei Jahre nach dem Krieg noch eine Trümmerlandschaft war, litt besonders. «1947 war in ganz Mitteleuropa ein Katastrophenjahr», sagt Brönnimann.
«Trockenheit bringt Bauernnot»
In den damaligen Zeitungsberichten standen die Probleme in der Landwirtschaft im Vordergrund. «Trockenheit bringt Bauernnot» schrieb etwa der «Walliser Volksfreund». Laut Brönnimann wirkte sich die Dürre nicht auf alle Betriebe gleich verheerend aus: Grossbauern konnten auf andere Felder ausweichen, besassen vielleicht eigene Wasserquellen oder auch finanzielle Reserven, Kleinbauern waren schnell in ihrer Existenz bedroht.
Extrem waren die Auswirkungen 1947 auch in den Bergen: Die Gletscher schwanden im Jahresmittel vielleicht sogar stärker als 2003. Diese Aussage ist aber zu relativieren: 1947 wurde nur eine Handvoll Gletscher gemessen, heute sind rund 50 Gletscher im Beobachtungsnetz. Und: Betrachtet man nur den Verlust der Gletschermasse im Sommer, also ohne die Winterbilanz einzubeziehen, so war 2003 extremer.
Gemäss einer Mitteilung der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) war die Eisschmelze in diesem Sommer noch deutlich schlimmer als 2003. Über sechs Prozent des verbleibenden Volumens seien verloren gegangen.
Grund für die lang anhaltende Trockenheit und Hitze waren wiederkehrende, stationäre Hochdruckgebiete über Mitteleuropa, die wie ein «Block» funktionierten. Da der Jetstream sich verformte und schwankte, konnte keine feuchte und kühle Luft vom Atlantik her zuströmen. Gleichzeitig etablierten sich stabile Tiefdruckgebiete westlich von Irland. «1947 reihten sich fünf solche Phasen aneinander. Sie wurden nicht durch einen einzelnen Antriebsfaktor, sondern durch eine Kombination verschiedener Faktoren und eine gehörige Portion Zufall ausgelöst», sagt Brönnimann. «Solche Situationen sind durch den Klimawandel häufiger geworden und werden in Zukunft noch häufiger vorkommen.» Extremjahre werden also zur Norm – selbst dann, wenn wirksame Massnahmen zur CO₂-Reduktion ergriffen werden.
Und wie fällt der Vergleich zur «Megadürre» von 1540 aus, die von Klimahistoriker Christian Pfister und weiteren Wissenschaftlern anhand der Schilderungen in zeitgenössischen Chroniken eingehend untersucht wurde? 1540 sei noch einmal eine Stufe schlimmer gewesen, glaubt Brönnimann. «Die Menschen waren unmittelbar an Leib und Leben bedroht. Es war die Rede von einer elf Monate währenden Dürre.»
1540 nahm geradezu apokalyptische Ausmasse an. Wegen der extrem tiefen Wasserstände war der Güterverkehr stark behindert. Die Mühlen liefen nicht mehr, sodass das wenige Getreide nicht gemahlen werden konnte. Die Fische verendeten, und das verbleibende Wasser war oft durch Algen verschmutzt. Und es kam zu vielen Bränden, die wegen des Wassermangels nicht gelöscht werden konnten.
Viele Hochwasser im 19. Jahrhundert
Der Klimawandel führt nicht nur zu höheren Temperaturen, sondern auch dazu, dass mehr Niederschlag in kurzer Zeit fällt. Im Einzugsgebiet der Emme wirkt sich das immer wieder katastrophal aus – wie diesen Sommer beim Hotel Kemmeribodenbad.
Die rasch ansteigenden Fluten liessen an das historische Hochwasser vom 13. August 1837 denken, das durch Gotthelfs Erzählung «Die Wassernot im Emmental» grosse Bekanntheit erlangte. Gotthelf griff zum eindringlichen Bild der «Emmenschlange», die «auf ihrer Stirne ein grün Zwerglein» trug, das «mit mächtigem Tannenbaum» den Lauf der Wassermassen steuerte. Ausgelöst wurde das Hochwasser damals von extrem starken Niederschlägen im Gebiet der Honegg, durch die der Röthenbach über die Ufer trat. In Eggiwil und weiter emmeabwärts wurden Häuser und Brücken von den Fluten mitgerissen.
«Die Schweiz lernte aus den Krisen. Mit neuen Gesetzen kam auch ein Schwall von Subventionen, die verwaltet werden mussten.»
Das 19. Jahrhundert war in der Schweiz von vielen Hochwassern und Überschwemmungen mit Dutzenden von Toten gekennzeichnet. Das Jahr 1868 sticht heraus, als die Hauptschadensgebiete im Tessin und im Bündnerland sowie im Rheintal bis zum Bodensee lagen. Der Lago Maggiore stand noch nie so hoch wie damals Anfang Oktober 1868, wie Klimaforscher Stefan Brönnimann festhält. Die Magadinoebene war überflutet, grosse Gebiete bis weit über Bellinzona hinaus vom Ticino überschwemmt.
«Die Hochwasser des 19. Jahrhunderts sind auf eine Häufung von Tiefdrucklagen zurückzuführen», sagt Brönnimann. Die Zunahme der Ereignisse in den letzten Jahrzehnten dagegen hat ihren Ursprung in höheren Temperaturen und mehr Feuchtigkeit in der Luft.
Die Überschwemmungen von 1868 veränderten den jungen Bundesstaat. «Die Schweiz lernte aus den Krisen und schuf gesetzliche Grundlagen», so Brönnimann. «Mit neuen Gesetzen kam auch ein Schwall von Subventionen, die verwaltet werden mussten.» Der Bundesstaat wurde ausgebaut und übernahm neue Aufgaben, etwa beim Hochwasserschutz. In den folgenden Jahrzehnten wurden «extrem viele» Flussverbauungen realisiert.

Es ist jedoch laut Brönnimann einfacher, bei einmaligen Ereignissen wie Überschwemmungen oder auch Lawinen schnell wirksame Schutzmassnahmen zu ergreifen, als etwa bei einer Hitzeperiode. Erst in den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es fortwährende Anstrengungen beim Städtebau braucht, um der Überhitzung im Siedlungsraum entgegenzuwirken.
1816 – Das Jahr ohne Sommer
Das Klima wird nicht nur von Hoch- und Tiefdruckgebieten regiert. Manchmal liegt die Ursache im Erdinnern. Im April 1815 bricht in Indonesien der Vulkan Tambora aus – mit dramatischen Folgen für die ganze Welt. Besonders schlimm wirkt sich das 1816 – im sogenannten «Jahr ohne Sommer» – in Europa aus, das von den napoleonischen Kriegen verheert ist. Auch die Schweiz war geschwächt, wie Stefan Brönnimann erklärt: Die Kornspeicher waren leer, die Textilindustrie lag darnieder, die Arbeitslosigkeit stieg rasant. Und die neu gebildeten Kantone waren im Krisenmanagement unerfahren.
In der Schweiz gab es massive Unterschiede. Während Genf etwa die Krise einigermassen meistern konnte, waren Innerschweiz und Ostschweiz viel schlimmer betroffen. Hier sollen die Menschen auf den Matten geweidet haben wie das Vieh.

Die Behörden wurden auf vielen Ebenen aktiv. Das reichte vom Bau von Passstrassen, um das Getreide besser zu transportieren, bis zum Tanzverbot, weil die Menschen lieber beten als feiern sollten. Landwirtschaftliche Schulen und Sparkassen wurden gegründet. Informationen über den grossen Ausbruch eines Vulkans im fernen Indonesien waren mit mehrmonatiger Verzögerung auch in Europa eingetroffen. «Die Menschen konnten sich aber keinen Zusammenhang mit dem kalten und nassen Wetter vorstellen», sagt Brönnimann. Erst rund 100 Jahre später zogen Wissenschaftler die richtigen Schlüsse.
Der Bischof verflucht das Ungeziefer
Extreme Wetterereignisse wirkten sich im Mittelalter oft verhängnisvoller aus als in der heutigen Wohlstandsgesellschaft. Es kam zu einer Kettenreaktion: Missernte, Versorgungskrise, Teuerung, Hungersnot, Seuchen und Pestzüge, Unruhen und Aufstände waren die Folge. Im Bestreben, die «Schuldigen» zu bestrafen, wurden Frauen als Hexen verurteilt sowie Minderheiten und Geldverleiher verfolgt, weil man ihnen Wucher vorwarf.
Um Schädlinge wie Mäuse und Würmer aus Feldern, Gewässern und Rebbergen zu vertreiben, griff der Bischof von Lausanne 1452 zum Exorzismus: «Ich verfluche euch vonseiten des allmächtigen Gottes, dass ihr, wohin auch immer ihr gehen werdet, verflucht seid, dass ihr von Tag zu Tag abnehmt und schwindet, bis von euch an keinem Ort mehr Überreste zu finden sind.» Plagen wurden als Zeichen Gottes gedeutet, um die Menschen auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.
Es gab aber auch damals rationale und vernünftige Massnahmen: So wird in den bernischen Chroniken des 15. Jahrhunderts etwa berichtet, dass die Nachricht von Dürre und Hunger in Frankreich zum Ausfuhrverbot für Korn, Butter und Wein führte.
Die Publikationen des Geographischen Instituts der Universität Bern stehen online zur Verfügung: Dürre von 1947, Hochwasser von 1868, Jahr ohne Sommer 1816.
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