Sprache lebt. Oder stirbt sie?Verlorenes Berndeutsch?
Gewisse Berndeutsch-Entwicklungen machen nicht nur Puristinnen oder Puristen Sorgen. Was ist los mit dem Dialekt, der nicht nur in Thun gesprochen wird?

Es ist ja bekannt, dass die heutige Berner Jugend nicht mehr wie zu Gotthelfs Zeiten parliert. Doch Sätze wie «I bi Migros gange, u nach Bern gfahre» beängstigen dennoch so manche Berndeutsch-Puristin oder so manchen Puristen. Sie sehen «ihren» Dialekt bedroht. Was ist passiert mit dem Berndeutsch der Thuner Jugend?
«Blaubeeri»: Für Menschen mit absolutem Bern-Dialektgehör tönt das fast wie ein Fis in der C-Dur-Tonleiter. Falsch. Oder ist es der Anfang eines wilden, verjazzten Berndeutsch? Als Sprachstudentin und Berndeutschverteidigerin sage ich immer: «Gäbs eso öppis, wine Académie française fürds Berndütsch, i wär scho lang unsterblech.» Wer in die Académie française gewählt wird, wird nämlich «les immortels» genannt.
Das Stichwort sagt: Solange eine Sprache oder ein Dialekt lebt, so lange wandelt sie oder er sich. Ist das nun gut? Schlecht? Es ist vor allem natürlich! Wie steht es also ums Berndeutsch der heutigen Thuner Jugend? Einige Müsterchen einer Bestandsaufnahme und eine mögliche Prognose.
Was isch de Bärndütsch?
Das «Bärndütsch» ist ein hochallemanischer Dialekt, also eigentlich keine eigene Sprache, obwohl die Frage zwischen den beiden umstritten und meist politisch zu begründen ist. Eine offizielle Orthografie existiert nicht, doch haben schon mehrere Sprachpuristinnen und -puristen eine Schreibempfehlung, wie etwa jene der Website berndeutsch.ch herausgegeben. Auf dieser Seite findet sich auch ein Wörterbuch für typisch berndeutsche Begriffe.
Der Thuner-Dialekt scheint sich da etwas orientierungslos zwischen Emmental-Oberland-Mittelland zurechtzufinden.
Doch was sind typische Begriffe? Es gibt ja schliesslich nicht ein Berndeutsch. Es wäre geradezu Verrat, von einem regional einheitlichen Dialekt zu sprechen. Es ist schwierig, bei all den Akzenten und Eigenwörtern kategorisch vorzugehen. Der Thuner Dialekt scheint sich da etwas orientierungslos zwischen Emmental-Oberland- Mittelland zurechtzufinden.
Doch es gibt weitaus Schlimmeres als einen unklassifizierbaren Sub-Dialekt: Durch die germanische und zunehmend englische Sprachinvasion lassen sich vor allem Jugendliche stark beeinflussen. Ist also in der Zukunft mit verheerenden Folgen zu rechnen?
«Fürne Blaubeeriweihe bruchts Butter und es Wallholz»
…und dazu wird etwa noch Schlagrahm serviert? Ja, solche Sätze dürften in der Tat existieren, folgte man meiner kleinen Umfrage über das Berndeutsch von Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren aus der Region Thun. Wörter, die sanctosanktus Berndeutsche Termini befolgen, sind gar nicht mehr in aller Berner Jugend Munde.
Schauen wir uns die Resultate etwas genauer an: So zum Beispiel sagt tatsächlich fast ein Drittel «Butter» anstatt «Anke». Oder «Kaugummi» ist neuerdings auch ein Synonym von «Chätschi». Was bitte schön ist dann eine «Weihe»? Und nein, was da im Sommer im Garten herumschwirrt, ist nicht ein «Bienli», sondern ein «Bejeli» oder von mir aus auch «Beii».
Fürs Streiten findet man immer ein berndeutsches Wort.
Die Natur wirkt sowieso nicht mehr so ganz Berndeutsch, wie die Umfrage zeigt: «Blaubeeri», «Mariekäfer» und «Kastanie» ersetzen teilweise die liebevollen und charakteristischen Ausdrücke wie «Heiti», «Himmugüegeli» oder «Chegälä». Apropos Natur: Spannend, dass niemand mehr den Begriff «Matte» für eine grüne, weite Rasen-, Feldblumen- oder Wiesenfläche braucht.
Ein klarer Fall ist jedoch «schlööfle», das scheint noch in aller Jugendmunde zu sein. Geht ja auch schneller über die Lippen als Schlittschueh loufe. Nur: Wie lange noch?
Zum «Göisse» ist aber das exhaustive Vokabular für den Streit: «ziggle», «zanngge», «chädere», «schtürme»... fürs Streiten findet man also immer ein berndeutsches Wort. Zum Glück aber auch für Versöhnung: «es Müntschi» kennen und brauchen die meisten noch.
Di cheibä Grammatik...
Etwas mehr Schwierigkeiten ist bei der Verwendung berndeutscher Grammatik der heutigen Jugend spürbar: «dr Riis» und «ds Mais»? Die befragten Jugendlichen verwenden einen Genus-Mix der Artikel oder verlassen sich auf die männliche, deutsche Variante. Doch es gäbe sehr wohl eine Regel, wie mich die berndeutsche Autorin und Radiomoderatorin Yvonn Scherrer einst belehrte: In Berndeutsch sagt man «ds Riis» und «ds Mais».
Noch schlimmer scheint jedoch der Gebrauch von «zwe», «zwo» und «zwöi»: Hier herrscht absolute Verwirrung!
Noch schlimmer scheint jedoch der Gebrauch von «zwe», «zwo» und «zwöi»: Hier herrscht absolute Verwirrung! Meist wird konstant «zwe» eingesetzt, als wäre es die Schnellvariante für das umständliche «zwöi», wobei «zwo» sich mehr und mehr in den Passivwortschatz bewegt.
Aber es gäbe schon eine Regel, wie unser Gymer-Franzlehrer einst betonte: «Zwe Manne, zwo Froue u zwöi Chind»!
Aber eben, man darf sich ja schon nur glücklich schätzen, wenn überhaupt noch Artikel oder Präpositionen gebraucht werden: «Gömer Migros, ha Lehrer gseh, mann u ZS becho». Zwei STI-Stationen reichen schon, um zu merken, dass Sprache scheinbar durchaus auch mit reiner Kommunikationsfunktion bestehen kann.
Henu so de
Und nun, die Sprachpolizei alarmieren? Äuä! – zu aufwendig, zu viele (Sozio-)Linguisten am Hals, die mir dann läng und breit erklären würden, dass eine Sprache ein morphologisches und nicht statisches soziales Konstrukt ist. Sprache ist Identität und Trägerin der Kultur. Kultur ist fluid und zeitgebunden. Macht Sinn, sonst würden wir heute wohl immer noch Latein anstatt Franz büffeln in der Schule.
Die Thuner Jugend wird zukünftig also anders sprechen.
Aber gerade die Digitalisierung und der multikulturelle Austausch – und vor allem die Hegemonie der englischen Sprache in Kunst, Wissenschaft und Literatur – führen zu einer schnelleren Entwicklung. Sprachvielfalt und reden wäre das Stichwort, mit dem ich mich nur wehmütig anfreunde. He nu so de, so sigs e so.
Die Thuner Jugend wird zukünftig also anders sprechen, vielleicht mögen einige sogar behaupten, minger Berndeutsch. Doch es ist auch gut so, oder zumindest natürlich! Eine wandelnde Sprache zeugt von einer Kultur, die lebt. Zudem glaube ich fest daran, dass gewisse Berner Ausdrücke den externen Spracheinflüssen trotzen werden und weiter verwendet werden – denn für gewisse Dinge gibt es einfach kein passendes Äquivalent, oder öppe nicht?
Zudem: Solange Lo und Leduc weiterhin die Schweizer Hitparade stürmen und Mani Matter nach wie vor den Berner Musikunterricht prägt, seh ich nicht schwarz, sondern äbä nume rot. Rot wie die Zunge des Berner Wappen-Bären.
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