Musikmarkt im Wandel«Die Wartezeiten für Schallplatten betragen mehrere Monate»
Die Zeit der CD ist vorbei, Vinyl ist hingegen so gefragt wie lange nicht. Die Umsätze steigen stark, der Plattenspieler wird zum kulturellen Statement.

Die allerbesten Tage von Black Sabbath sind schon länger vorbei. Die legendäre britische Rockband wurde 1968 von Ozzy Osbourne mitgegründet. Die Erfinder des Heavy Metal sind 2017 in Birmingham zum bislang letzten Mal aufgetreten, aber immer noch beliebt: 75 Millionen Alben hat Black Sabbath weltweit verkauft – und es werden immer mehr, auch wieder auf Schallplatte. Nach Angaben der Musikfirma BMG kamen die erfolgreichsten Vinylscheiben im Programm des ersten Halbjahres von Black Sabbath, vom verstorbenen Sänger Joe Strummer der Punkband The Clash und der Rockgruppe Garbage.
Aber nicht nur Heavy Metal, Rock und Punk sind auf Vinyl plötzlich wieder in. Die Schallplatte insgesamt ist zurück – und feiert ein Comeback.
Mehr Umsatz mit Schallplatten als mit CDs
«Es gibt einen sehr starken Trend zu Vinyl», sagt Hartwig Masuch, Chef der Berliner Musikfirma BMG – hinter den Branchengrössen Universal Music, Sony und Warner die Nummer vier am Markt. «Wir haben im ersten Halbjahr 2021 erstmals seit der Gründung 2008 mehr Umsatz mit Schallplatten als mit CDs gemacht», fügt er an.
BMG wurde erst 2008 gegründet, die Schallplatte war da schon lange auf dem Rückzug. Nachdem Mitte der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts die CD aufkam, überflügelten die kleinen silbernen Scheiben bald die Schallplatte. Doch nun ist auch die Zeit der CD vorbei: Heute wird Musik online gestreamt – und wieder von der Schallplatte gehört.
Dieser Trend lässt sich auch an Zahlen aus den USA ablesen. Dort wurden nach Branchenangaben im Jahr 2011 nur noch 700’000 Schallplatten verkauft, 2020 hingegen waren es schon wieder 4,2 Millionen.
BMG-Chef Masuch glaubt, dass der Vinyl-Boom noch nicht zu Ende ist: «Wir gehen davon aus, dass das auf Dauer noch mehr Fahrt aufnehmen wird. Wir werden sehr konsequent unser gesamtes Repertoire auf Vinyl verfügbar machen.»
Das Problem: Die Nachfrage ist so hoch, dass die Unternehmen mit der Herstellung nicht nachkommen. «Die Produktionskapazitäten für Vinyl-Platten sind derzeit sehr beschränkt, die Wartezeiten betragen mehrere Monate», so Masuch. Der Rohstoff ist in der Pandemie knapp, viele Presswerke haben nach dem Niedergang der Schallplatte in den vergangenen Jahrzehnten die Produktion eingestellt. Jetzt gibt es kaum noch jemanden, der Schallplatten für die Musikindustrie produziert.
Plattenspieler als kulturelles Statement
Aber die Gewohnheiten wandeln sich. «Der Schallplattenspieler wird für viele zu einem kulturellen Statement», sagt Masuch und fügt an: «Dabei geht es ihnen um das Erlebnis, bewusst eine Vinyl-Platte durchzuhören und nicht eine Playlist durchlaufen zu lassen, die ein Streamingservice kuratiert hat.» Musik als Erlebnis also. Kein Wunder, dass auch der Absatz von Schallplattenspielern deutlich steigt.
Für die gebeutelte Musikindustrie ist das eine gute Nachricht: Denn der Umsatz mit Platten ist deutlich höher, mehr und mehr werden Luxusversionen angeboten. Bei BMG-Chef Masuch liegt zum Beispiel eine aufwendig gestaltete Box auf dem Schreibtisch, ein Album von Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards, das Äussere ist dem hellen Holz seiner Fender-Gitarre nachempfunden, drinnen finden sich nicht nur eine LP und eine Single, sondern auch Faksimiles von Backstage-Pässen sowie Bild- und Textbände. Echte Fans zahlen dafür schon mal 750 Dollar.
Konkurrenz durch Youtube
All das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Musikmarkt wie kaum ein anderer weiter grundlegend wandelt. Zuletzt waren die Streamingdienste Spotify, Deezer, Apple oder Amazon Music bestimmend. Doch inzwischen gibt es eine andere grosse Einnahmequelle, und das ist Youtube, das Videoportal, das zum mächtigen Google-Konzern gehört. «Youtube wird immer relevanter für die gesamte Musikindustrie, und zwar weltweit», sagt auch Masuch. Das gelte besonders in sich entwickelnden Ländern, etwa in Südamerika.
Gleichzeitig wird der Markt insgesamt immer grösser. Nach Schätzungen betrage das Volumen der in den kommenden Jahren frei werdenden Rechte von Musikern zwischen 200 und 250 Milliarden Dollar. Masuch sagt: «Da wird sich viel bewegen.» Und BMG will davon profitieren.
Gerade erst hat BMG ein umfangreiches Portfolio an Rechten für Tina Turner erworben. Ihre Hits wird es demnächst auch wieder verstärkt auf Vinyl geben.
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