Ausbau SolarenergieWarum Berner Gemeinden zu den Schlusslichtern gehören
Viele Gemeinden im Kanton schneiden beim Zubau von Solaranlagen im Schweizer Vergleich schlecht ab. Darunter ausgerechnet die Stadt Bern.

Die Solaroffensive ist definitiv in der Schweiz angekommen. Das zeigt die enorme Nachfrage nach Solaranlagen für private Haushalte und vor allem der Turbobeschluss des Bundesparlaments zu Sonnenkraftwerken in den Alpen.
Auch der Kanton Bern denkt laut über Standorte für Solarkraftwerke nach. Einen ersten Standort im Gantrischgebiet brachte ein Berner Landwirt jüngst selbst ins Gespräch.
Alpine Solaranlagen über dem Nebelmeer würden helfen, die Stromlücke in den Wintermonaten zu verkleinern. Doch das wahre Solarpotenzial schlummert auf den Berner Hausdächern.
Und auch dort tut sich etwas: Zwar lehnt der Regierungsrat die Initiative der Grünen für eine Solarpflicht für alle geeigneten Häuser ab. Er will jedoch einen Gegenvorschlag ausarbeiten und die Rahmenbedingungen für private Solaranlagen weiter verbessern.
Das ist auch nötig. Denn: Was den Ausbau der Solarenergie betrifft, schneidet Bern im Vergleich mit den anderen Kantonen eher schlecht ab. Das zeigt eine Tamedia-Datenanalyse zum sogenannten Solarpotenzial. Dieses zeigt das Verhältnis der mit Solarpanels genutzten Dachflächen zu den noch freien Flächen.
Das Ergebnis: Während beim Spitzenreiter, dem Kanton Luzern, derzeit rund 9 Prozent aller Hausdächer für Solaranlagen verwendet werden, sind es in Bern nur 5,2 Prozent – das bedeutet Platz 19 unter den Kantonen.
Noch frappanter fallen die Unterschiede zwischen den einzelnen Berner Gemeinden aus. Ein Blick auf die Karte zeigt: Es gibt Gemeinden in sämtlichen Regionen des Kantons, welche beim Solarausbau hinterherhinken. Dazu gehört auch die Stadt Bern.
Andere Berner Gemeinden nutzen das enorme Energiepotenzial ihrer Hausdächer deutlich besser aus. Dazu zählen etwa die drei kleinen bis mittelgrossen Gemeinden Rüdtligen-Alchenflüh, Büetigen und Rohrbach. (Wollen Sie mehr über Ihre Gemeinde erfahren? Dann lesen Sie diesen Artikel.)
David Stickelberger, Geschäftsführer des Branchenverbands Swissolar, kann sich das schlechte Berner Abschneiden nicht abschliessend erklären. Er vermutet jedoch zwei Hauptursachen:
Die Steuerpraxis des Kanton Berns
Die Rückvergütungen der BKW
Was die Steuern anbelangt, so wurden Besitzer einer Solaranlage im Kanton Bern bislang bestraft. «Bis zu einem Bundesgerichtsurteil im Jahr 2019 war die Besteuerung in Bern besonders hoch», sagt Stickelberger.
Der Grund: Der Kanton betrachtete PV-Anlagen auf dem Dach als Teil des Hauses, wodurch sich dessen amtlicher Wert erhöhte. Dadurch mussten die Eigentümerinnen oder Eigentümer höhere Liegenschaftssteuern bezahlen – ein Nachteil, den der Grosse Rat mit der Revision des kantonalen Steuergesetzes per 2024 beheben will.
Bleibt der andere übergeordnete Grund für das unterschiedliche Abschneiden der Berner Gemeinden: die Vergütungspraxis der BKW.
Dazu eine kurze Erklärung: Wer Solarstrom von seinem Dach ins Netz einspeist, der erhält dafür von seiner Energieversorgerin eine Rückliefervergütung. Bezahlt wird in den meisten Fällen für den Strom und für einen Herkunftsnachweis.
Swissolar-Geschäftsführer Stickelberger gibt zu bedenken, dass die BKW über viele Jahre sehr tiefe Vergütungen für eingespeisten Solarstrom bezahlte.
Den Tiefpunkt markierte das Jahr 2017. Damals erhielten die Besitzer von PV-Anlagen gerade noch 4,7 Rappen pro Kilowattstunde Solarstrom. Dies, weil die BKW den Einspeisetarif neu nach dem Marktpreis ausrichtete.
Erst jetzt, wo angesichts der Energiekrise und des drohenden Strommangels die Preise für Solarstrom durch die Decke gehen, können sich Hauseigentümer im BKW-Gebiet freuen: Im dritten Quartal 2022 erhalten sie 41,3 Rappen pro Kilowattstunde Strom.
Mit der Höhe der Einspeisetarife lassen sich viele, jedoch nicht alle Unterschiede zwischen den Gemeinden erklären. Ein Blick auf die weiteren Haupterkenntnisse der Datenanalyse:
Landgemeinden sind besser

Unter den Gemeinden, die das Potenzial ihrer Dächer am besten ausnutzen, sind auffällig viele ländliche Gemeinden. Viele sind tatsächlich im Einzugsgebiet von lokalen Energieversorgern, die teils höhere Einspeisetarife bezahlen.
Der Blick auf die Besten legt noch einen weiteren Schluss nahe: Genauso wichtig wie die Höhe der Tarife ist, dass diese nicht zu sehr schwanken. Fixe Tarife erhöhen die Planungssicherheit für interessierte Hausbesitzer und Investoren. Volatile Marktpreise, wie sie die BKW verrechnet, erschweren hingegen die Berechnung der wirtschaftlichen Rentabilität einer Solaranlage.
Ein weiterer Punkt abseits des Tarifdschungels: In Gemeinden, die über viele landwirtschaftliche, Gewerbe- oder Industriebauten verfügen, stehen deutlich mehr grosse Dachflächen zur Verfügung. Diese eignen sich besser für Fotovoltaikanlagen.
Viele Grosse hinken hinterher
Auffällig ist: Ausgerechnet die einwohnerreichsten Berner Gemeinden, in denen am meisten Hausdächer zur Verfügung stünden, hinken beim Solarausbau hinterher. Bern, Belp, Ostermundigen, Biel und Köniz: Sie alle liegen in Sachen ausgenutztes Solarpotenzial unter dem bereits niedrigen kantonalen Schnitt von 5,2 Prozent.
Neben den erwähnten Tarifunterschieden dürfte dies einem weiteren Umstand geschuldet sein, der allen Grossen gemein ist: dem hohen Mieteranteil.
In der Stadt Bern beispielsweise wohnen 85 Prozent der Haushalte zur Miete. Da Hauseigentümer Energiepreise über die Nebenkosten auf die Mieterinnen und Mieter abwälzen können, gibt es für sie kaum finanziellen Anreize, eine Fotovoltaikanlage zu installieren, nicht einmal angesichts der nun stark gestiegenen Kosten für Strom und Heizung.
Die Stadt Bern – das Schlusslicht

Bern. Ausgerechnet Bern. Zwar wird die Bundesstadt seit 30 Jahren von einer rot-grünen Mehrheit regiert. Doch zur Solarstadt wurde Bern in dieser Zeit nicht. Gerade einmal 16 Gigawattstunden Solarstrom werden jährlich auf ihren Dächern produziert. Das sind lediglich 3,7 Prozent von dem, was möglich wäre – letzter Platz unter den grössten Berner Gemeinden.
Auffällig zudem: Auch im Vergleich mit anderen Schweizer Städten schneidet Bern schlecht ab. Noch schlechter in Sachen Solarausbau sind von den Grösseren nur noch Zürich, Lugano und Genf (lesen Sie hier: warum sich Städte beim Ausbau der Solarenergie grundsätzlich schwertun).
Dabei unternimmt Bern vieles, um den Solarausbau zu fördern. Städtische Liegenschaften werden mit PV-Anlagen ausgerüstet. Zudem berät die Stadt Hauseigentümer und fördert Anlagen mit einem Beitrag aus dem Ökofonds der städtischen Energieversorgerin Energie Wasser Bern (EWB).
Warum kommt sie trotzdem in Sachen Ausbau kaum vom Fleck?
Neben dem erwähnten hohen Mietanteil nennt die Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie (SUE) drei Gründe für das schlechte Abschneiden:
Fehlende gesetzlich verankerte Solarpflicht
Die im Vergleich tieferen Rückliefertarife von EWB
Der Denkmalschutz
Zum letzten Punkt gibt die SUE zu bedenken: «Über 50 Prozent der Gebäude mit Wohnnutzung stehen in der Stadt Bern unter Denkmalschutz oder weisen einen Schutzstatus auf.» Die Installation von PV-Anlagen sei auf einem guten Teil dieser Dächer zwar möglich, brauche aber eine Bewilligung und sei an Auflagen gebunden, welche die Projekte aufwendiger machen würden. Im Unesco-Perimeter sind gar keine Anlagen möglich.
«Uns fehlen Dächer.»
Matthias Egli nennt noch einen weiteren Grund. Der ehemalige Berner GLP-Stadtrat ist Präsident von «Sunraising». Für 350 Franken pro Quadratmeter verkauft der gemeinnützige Verein Anteile an Solardächern in der Stadt Bern.
Egli sagt: «Uns fehlen die Dächer. Wir haben viel mehr Anfragen, als wir je umsetzen könnten.» Das liege weniger an der Stadt als an den anderen wichtigen Akteuren, die in Bern über grosse Dachflächen verfügten. «Pensionskassen, Kantonsverwaltung, die Burgergemeinde oder Firmen aus der Industrie sind noch immer sehr zurückhaltend, was den Bau von Solaranlagen angeht.»
Burgdorf – die Spitzenreiterin

Dass trotz höherer Hürden auch Städte bei der Solaroffensive eine führende Rolle einnehmen können, zeigt ein Blick ins Emmental. Burgdorf schneidet unter den Berner Städten am besten ab. Die 261 PV-Anlagen auf Stadtgebiet produzieren jährlich etwas mehr als 7,6 GWh Strom. Damit nutzt Burgdorf 7,7 Prozent des Potenzials aus.
«Burgdorf ist international Vorreiterin der kostendeckenden Einspeisevergütung.»
Neben stabilen, eher hohen Einspeisetarifen liegt das vor allem an der politischen Förderung. Bereits 1991 wurde in Burgdorf aufgrund einer im Stadtrat überwiesenen Motion die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für Solarstrom eingeführt. «Burgdorf ist damit international Vorreiterin der KEV», betont Stadtpräsident Stefan Berger (SP).
Das Hauptziel dieses sogenannten Burgdorfer Modells sei gewesen, den von Solaranlagen eingespeisten Strom für den Betreiber kostendeckend über die Lebensdauer der Anlage zu vergüten.
Zudem war die Stadt Burgdorf an privaten Projekten beteiligt wie etwa der Solarstadt AG. «Solarstadt finanziert und baut grosse PV-Anlagen auf Industriedächern oder auf Dächern von grossen Institutionen wie Schulhäusern, Spital und Altersheim», sagt Berger.
Der produzierte Strom werde entweder ins Netz eingespeist oder zu einem vergünstigten Preis an den Betrieb oder die Institution am jeweiligen Standort verkauft. Die Gewinne aus dem Solarertrag werden primär in den Bau neuer Anlagen investiert.
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