Tipps für KinderbücherWie bringt man Buben zum Lesen?
Mädchen lesen lieber und besser als Buben. Zwei Berner Pädagoginnen erklären, woran das liegt und wie man die Leselust bei Knaben fördern kann.

In der dritten Klasse meines Sohnes grassiert das Harry-Potter-Fieber. Sobald zwei Mädchen zusammenkommen, diskutieren sie darüber, bei welchem Band sie gerade sind und was wohl als nächstes passieren wird. Von den Buben dagegen spricht kaum einer von J. K. Rowlings Romanen, nur die Filme scheinen viele zu kennen.
Mein Sohn findet die Bücher aber spannend. Immer wieder frage ich mich bange: Wie lange getraut er sich noch, dazu zu stehen? Es wäre nicht das erste Mal, dass er erklärt, etwas gehöre sich für ihn als Buben nicht. Schon das Nägellackieren und das Spielen mit Kuscheltieren fand er kurz nach dem Kindergarteneintritt «nicht mehr passend für mich».
Bücher wichtig für Lesekompetenz
Lesen ist in unserer Gesellschaft weiblich konnotiert. Vor allem das Lesen von Belletristik. Buben sehen ihre Väter eher die Zeitung studieren oder Fachliteratur konsumieren als einen Roman. Solche Sachtexte sind für die meisten Kinder zu schwierig. Das männliche Vorbild wirkt deshalb vor allem negativ: Knaben nehmen seltener Bücher zur Hand. Dadurch fehlt ihnen die Übung, die es für eine automatisierte Worterkennung braucht. Das Lesen bleibt anstrengend und bereitet ihnen weniger Freude als den Mädchen, wie die jüngste Pisa-Studie einmal mehr feststellt. Ein Teufelskreis.
Die Lesefertigkeit ist ein Schlüssel, der die Türen zu den unterschiedlichsten Welten öffnet.»
Okay, könnte man jetzt sagen, es lebt sich auch ganz gut, wenn man keine Affinität zu Literatur hat. Doch Nina Ehrlich, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Bern, betont: «Die Lesefertigkeit ist ein Schlüssel, der die Türen zu den unterschiedlichsten Welten öffnet.» Ihre Kollegin Britta Juska-Bacher, die Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik Deutsch unterrichtet, fügt hinzu: «Wer viel liest, vergrössert seinen Wortschatz. Dadurch kann man sich auch mündlich differenzierter ausdrücken.» Und das hilft in fast allen Lebensbereichen.
Kleine Buben lesen noch gerne
Will man herausfinden, wie man Knaben zum Lesen bringt, muss man anschauen, wann sie damit aufhören. In der ersten und zweiten Klasse zeigen sich laut Britta Juska-Bacher noch keine geschlechterspezifischen Unterschiede. Erst in der dritten, vierten Klasse kommt es zu einem Knick. «Ein Grund dafür könnte sein, dass die meisten Kinder inzwischen grundsätzlich lesen können», sagt die Dozentin, «und nun die Anforderungen steigen.» Gut möglich, dass dies vielen Knaben zu anstrengend wird.
Richtig weit auseinander geht die Schere aber erst im 7. und 8. Schuljahr. Die naheliegendste Erklärung dafür ist, dass Jugendliche sich in der unsicheren Zeit der Pubertät gerne an Geschlechterstereotypen orientieren. Das bedeutet, dass Buben sich eher auf «männliche» Hobbys konzentrieren. Dazu gehört vor allem das Gamen, wie die James-Studie 2018 belegt. Demnach spielen zwei Drittel aller Buben (66 Prozent) täglich oder mehrmals pro Woche Computerspiele, bei den Mädchen sind es nur 11 Prozent.
So kann es klappen
Das Problem ist erkannt. Viele Verlage versuchen, mit typischen männlichen Heldengeschichten zu punkten. Das findet Elisabeth Eggenberger vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM) jedoch heikel: «Oft werden darin Stereotype bedient.» Zudem fördert dieses sogenannte Gendermarketing den Glauben, dass ein «richtiger» Bub nur bestimmte Bücher lesen darf.
Buben bei ihren Interessen abzuholen, ist aber durchaus sinnvoll, solange die Geschichten nicht zu klischiert daherkommen. Im Trend sind zurzeit Bücher von Influencern und Gamern. Darauf spezialisiert hat sich etwa der Verlag Community Editions in Köln. Er hat Ende 2019 ein Comicbuch des deutschen Youtube-Stars Arazhul alias Roman Fink veröffentlicht. «Wie ich die Welt rettete und gleichzeitig eine 3- im Vokabeltest schrieb» wurde sofort zum Bestseller. «Manche Buben können über solche Bücher sicher ans Lesen herangeführt werden», meint Elisabeth Eggenberger.

Ebenfalls Erfolg versprechend ist der Besuch der Schulbibliothek mit der ganzen Klasse. Zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer im Kanton Bern tun dies regelmässig. Dabei sucht sich jedes Kind eines oder mehrere Bücher aus. So lernen Mädchen und Knaben: Ich darf selbst bestimmen, was ich lese. Das macht Spass. Und dabei entdeckt vielleicht auch der eine oder andere Bub den Zauber der Harry-Potter-Romane.
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