Niederlage für Joe Biden Wie der Supreme Court den Klimaschutz ausbremst
Die obersten Richter der USA schränken die Befugnisse der Umweltbehörde EPA ein. Nun wittern Unternehmer mehr Freiheit – dafür sind die Klimaziele in Gefahr.

Die Klimaschutzpläne von Joe Biden sind in akuter Gefahr – und damit jene des Pariser Abkommens. Die konservative Mehrheit am Obersten Gericht der USA hat am Donnerstag die Befugnisse der Bundesumweltbehörde EPA eingeschränkt. Diese wollte im Rahmen eines Plans für saubere Luft strengere Vorschriften für Kraftwerke verhängen. Das hätte zur Schliessung von Kohlekraftwerken und ihrem Ersatz durch CO₂-ärmere Energieträger wie Wind, Solar und Nuklearbrennstoffe geführt. Die Kohleindustrie wehrte sich vehement gegen die Vorschriften, allen voran jene in West Virginia, die den aktuellen Fall vor Gericht gebracht hat.
Nun haben sechs der neun Richterinnen und Richter am Supreme Court geurteilt, die Umweltbehörde habe ihre Kompetenzen überschritten. Sie könne nur Vorschriften für einzelne Kraftwerke erlassen. Für branchenweite Reduktionspläne und -regulierungen fehle jedoch eine Grundlage im gültigen Umweltrecht. Die Auflagen für den Kohlendioxid-Ausstoss so zu verschärfen, damit weniger Kohle verbrannt werde, sei zwar eine vernünftige Lösung, hielt der Gerichtsvorsitzende John Roberts in der Urteilsbegründung fest. Jedoch sei es nicht glaubhaft, dass der Kongress der EPA die Kompetenz dazu erteilt habe: «Eine Entscheidung von solcher Tragweite und Konsequenz obliegt dem Kongress selbst oder einer Behörde, die auf der Grundlage einer klaren Anweisung dieses repräsentativen Organs handelt.»
«Zu diesem Zeitpunkt sehe ich keinen Weg, wie sie ihre Ziele noch erreichen können.»
Nötig wäre also ein neues Gesetz aus dem Kongress, was Jahre dauern würde – und die Klimaziele sind für 2030 und 2050 gesetzt. Das Oberste Gericht hat Präsident Biden also ein wirksames Instrument zur Verminderung des Treibhausgasausstosses aus der Hand genommen.
Damit dürften die USA – immerhin der zweitgrösste Treibhausgasproduzent der Welt – noch stärker ins Hintertreffen geraten gegenüber ihren Zielen. Verpflichtet haben sie sich dem Klimaabkommen von Paris, mit einer Reduktion von 50 Prozent bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050. Elektrizität sollte bis 2035 klimaneutral produziert werden. Klimaexperte David Victor von der University of California in San Diego sagte der «New York Times»: «Zu diesem Zeitpunkt sehe ich keinen Weg, wie sie ihre Ziele noch erreichen können.»

Die Vereinten Nationen bezeichneten das Urteil denn auch als «Rückschlag in unserem Kampf gegen den Klimawandel». Joe Biden nannte den Richtspruch des Obersten Gerichts «ein weiteres verheerendes Urteil, das unser Land rückwärtsführt». Die konservative Mehrheit am Supreme Court schlage sich auf die Seite der Wirtschaftsinteressen, die eine jahrelange Kampagne geführt hätten, das Recht auf saubere Luft zu stehlen. «Die Wissenschaft bestätigt, was wir mit eigenen Augen sehen, die Wildfeuer, die Dürren, die extreme Hitze, die intensiven Stürme bedrohen unser Leben und unseren Erwerb», sagte Biden. «Ich werde darauf reagieren.» Nur wie, das ist die Frage.
Kalifornien zeigt den Weg
Denn die Hoffnung der Klimaschützer ruht nun vor allem auf den einzelnen Bundesstaaten. Die wirtschaftlichen Machtzentren, Kalifornien und New York, beweisen, wie es geht: In Kalifornien etwa sollen ab 2035 nur noch klimaneutrale Neuwagen zugelassen werden. Allerdings hat nur knapp die Hälfte der 50 Staaten Klimaschutzpläne verabschiedet. Besonders die ländlichen, konservativen Staaten mit Öl- und Kohleförderung stehen auf der Bremse.
Biden versprach, die Bundesbehörden würden den Umwelt- und Klimaschutz trotzdem weiter vorantreiben. Das ist allerdings schwieriger geworden, denn das aktuelle Urteil betraf auch einen Grundsatzstreit: Wie weit dürfen föderale Agenturen überhaupt gehen bei der Setzung von Standards? Das Oberste Gericht hat nun ein Signal der Zurückhaltung gesendet, um der Wirtschaft mehr Freiheit zuzugestehen: Der Kongress müsse die Kompetenzen der föderalen Agenturen detailliert beschreiben. Sonst bestehe Gefahr, dass diese auf eigene Faust Entscheidungen träfen, die eigentlich der Volksvertretung zustünden, befand die Mehrheit an dem Gericht.
Wirtschaftskreise haben bereits weitere Prozesse gestartet, mit denen sie behördliche Vorschriften loswerden wollen.
Die konservativsten Mitglieder des Gremiums würden gern noch viel weiter gehen. Richter Clarence Thomas etwa macht seit Jahren geltend, eigentlich habe Washington im Wirtschaftsbereich so gut wie keine Kompetenz – in Wahrheit könnten nur die einzelnen Bundesstaaten Regulierungen dazu erlassen. Das nun vorliegende Urteil, geschrieben vom Gerichtsvorsitzenden Chief Justice John Roberts, geht einen Mittelweg: Es schränkt den Spielraum der Bundesbehörden generell ein, ist allerdings spezifisch genug, dass sich die Auswirkungen vorerst auf den Umweltbereich beschränken. Allerdings haben Wirtschaftskreise bereits weitere Prozesse gestartet, mit denen sie behördliche Vorschriften loswerden wollen. Gegen die Emissionsvorschriften für Autos, die von dem aktuellen Urteil nicht betroffen waren, sind beispielsweise ebenfalls Klagen hängig.
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