Wie kreative Frauen die Kleinkunst kräftig aufmischen
Die Schweizer Künstlerbörse feierte im KKThun zum 60. Mal die Kleinkunst in allen schillernden Facetten. 70 Formationen begeisterten an drei Tagen die Gäste mit ihren Kurzauftritten.
«Entschuldigung, fährt hier die Linie 1?», fragt eine bebrillte Dame am Thuner Bahnhof etwas aufgekratzt. Der weisse Stock, den sie in der Hand hält, deutet auf ihre schlechte Sehkraft hin. Sie sei für eine Pianistin eingesprungen, um den Sänger Lukas Eichenberg zu begleiten, der an der Chansonade in den Katakomben der Künstlerbörse auftritt.
«Wissen Sie, ein bisschen sehe ich ja schon noch…», und dann: «Nehmen Sie meine Karte, vielleicht treffen wir uns mal wieder», lächelt sie. Im Foyer des KKThun wird sie von einer jungen t.-Mitarbeiterin unter die Fittiche genommen.
Auf der Visitenkarte steht Marianna Polistena, jene Pianistin, die viele Jahre in der Band von Polo Hofer spielte und sang, eine Musikerin mit Rock und Blues in den Adern, die noch verriet: «Eichenberger singt sehr süsse, berührende Lieder, aber es stimmt für ihn.» Dass sie hinzufügt: «Ich mag es härter», ist angesichts ihrer reichen Musikvita nachvollziehbar.
«Was ist ein veganes, alkoholfreies Fondue? Ein Knoblibrot.»
Welke Blumen und lebendige Erinnerungen
Eindrucksvoll beweist das Maria Augusta Balla in ihrem Ein-Frau-Stück «Dice che viene a piovere» (Er sagt, es wird regnen). Mit einer fantastischen Bühnenpräsenz stellt die Schauspielerin eine alte Frau dar, die jeden Tag ihren Mann bei jedem Wetter auf dem Friedhof besucht.
Im fesselnden Monolog schimpft sie über welke Blumen auf den Gräbern und erinnert sich an die Vergangenheit mit vorsichtigem Blick auf die Zukunft, wenn sie hier auch liegen wird.
Cucurrucucu in den höchsten Tönen
Mit einer Zeltbühne schenkt die Künstlerbörse neu den Musikformationen einen Präsentierteller auf dem Freigelände. Banan'N Jug (sprich Banan'n'Dschag), eine reine Frauenband aus Frankreich, ist als zweiter Liveact im Auftrittsblock angekündigt. Die pure Weiblichkeit ruft sozusagen auf den Plan.
Doch zuvor hat sich Verso Suelto angesagt, die sich den lateinamerikanischen Klassikern verschrieben hat. Flankiert von vier Musikern aus vier Ländern, betritt die hochgewachsene Sängerin Raissa Avilés die Bühne. Dass die Tessinerin vier Oktaven auslotet, ist schon eine Sensation an sich.
«Warum ist nie besetzt, wenn man die falsche Nummer wählt?»
Auf English teilt sie dem Publikum mit, dass sie besonders traurige Liebeslieder vergöttere. Spätestens beim oft gespielten «Cucurrucucu» hebt auch die letzte Taube auf dem Dach des KKThun aufmerksam den Kopf. Nur vom Bassisten begleitet, intoniert Raissa Avilés den Klassiker in einer Intensität, Stimmgewalt und Modulationskunst, dass ein paar Gäste aus dem Publikum begeistert aufspringen.
Staubiger Ursprung – erfrischender Sound
Banan'N Jug mit Laure Colson, Caroline Sentis, Marine Fourest und Barbara Hammadi sprühen vor Temperament und Musizierlust. Bei ihren Liedern mit Banjosound, Waschbrett, Bass und Perkussionsintrumenten taucht vor dem inneren Auge das staubige Amerika der 1920er-Jahre auf, in dem die Waltons mit ihrem Kleintransporter durch die Gegend gurkten und diese röchelnde Hupe drückten. Doch statt «Gute Nacht John-Boy» wird der Zuhörende mit aufweckender, erfrischender Wirkung beschenkt.
«Zwischen mir und meinem Sohn liegen Generationen – von Smartphones.»
Oder war es umgekehrt?
Von Ost-Berlin nach Zürich hat es Uta Köbernick vor einigen Jahren schon verschlagen, die ihr neues Programm «Ich bin noch nicht fertig» vorstellt. Das antwortet sie beispielsweise auf die Frage, ob sie endlich Schweizerdeutsch versteht.
«Die 75-jährigen Omas sind die grössten Punks.»
Filigrane Wortspiele wie: «Wir waren frei und der Himmel so blau, oder war es umgekehrt?» oder «Das Kabarett ist tot, es lebe Georg Kreisler, oder war es umgekehrt?» beschäftigen die Gehirnzellen vollauf. Ein gemächliches Tempo und klar gesetzte Worte der Kabarettistin geben dem Publikum Zeit, Aussagen zu verdauen, die noch eine Weile nachwirken.
Götterfunken in der Warteschleife
Hinter dem Namen Woman's Move steht die Schweizer Tänzerin Elsa Couvreur, die mit ihrem Programm «Sensemaker» das Publikum in seiner Geduld auf die Probe stellt. Denn die junge Frau steckt in einer Telefonwarteschleife fest. Die Hinhaltemusik am Telefon ätzt mit Beethovens «Freude schöner Götterfunken», die sie aber zu einer hinreissenden Tanzperformance auffordert, mit der sie sich aus der Schleife entfesselt.
«Sogar das hässliche Kakerlakenkind ist schön für seine Mama.»
Eine Frau tanzt ihren Mann
Die Joshua Monten Dance Company ist für ihr dynamisches Tanztheater bekannt. Die Kurzversion des Programms «Romeo, Romeo, Romeo» birgt eine Überraschung, denn unter den vier Tanzenden befindet sich die Tänzerin Noa van Tichel, die unter ihren Kollegen Konstantinos Kranidiotis, Max Makowski und Jack Wignall die gleichen männlichen Bewegungsabläufe zeigt.
«Lass mich jetzt auch mal zu Wort kommen, mein Lieber.»
Später erzählt sie, es sei für sie eine harte Arbeit gewesen, die kopulierenden, mit Muskeln balzenden Figuren einzustudieren. Doch die Tänzerin ist jetzt sicher: «Wie sich Frauen und Männer bewegen, ob auf die Brust trommelnd oder stöckelnd: Nichts ist angeboren, es ist alles erlernt!»
Der Kater
Die Compagnia Bluff zeigte eine Kurzform ihres Programms «Maestro e Margherita», wobei der Kater nicht mit frechen Bemerkungen geizte. Heike Mühlen, David Labanca und Fabrizio Pestilli verkörperten in ihrer modernen Form der Commedia dell'arte zwölf Rollen im fliegenden Wechsel.
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