Eugen Gomringers MineralienWieso dieser Poet Steine aufhob
Die mineralischen Sammlerstücke des Dichters Eugen Gomringer verraten viel über seine Biografie, aber auch über sein Verständnis von Poesie und Kunst.

Spätestens seit Goethe ist das Phänomen kein unbekanntes mehr: Dichterpersönlichkeiten, die, gepackt von einer Passion für Geologisches, Stein- und Mineraliensammlungen anlegten. Wie der Weimarer Dichterfürst, aus dessen Besitz fast 18’000 Stücke stammen, liess sich auch Hermann Hesse vom «Steine-Fieber» infizieren. Schon seit Jahrzehnten lagert seine kleine, aber feine Sammlung wohlbehütet in den Schatzkammern des Schweizerischen Literaturarchivs. Und nun ist ein weiterer solcher Hingucker in Bern aufgetaucht: die Kollektion von Eugen Gomringer.
Verpackt in zehn spezialausgestattete Archivschachteln, warten rund 180 Stücke und Proben auf ihre Entdeckung. In ihrer Provenienz, vom Sammler gut dokumentiert, spiegelt sich Gomringers Leben und Wirken in einem Spannungsfeld von Heimatlichem und Exotischem, Gegenwärtigkeit und Vergangenheit. Granatschiefer vom Gotthard ruft die Schweizer Wurzeln des Poeten in Erinnerung, Mineralien aus der «Johanneszeche» bei Wunsiedel, nur einen Steinwurf von Rehau entfernt, legen Zeugnis von Gomringers Verbundenheit mit seiner oberfränkischen Wahlheimat ab.
Interesse an Bildhauerkunst
Gomringer kam viel in der Welt herum, nicht zuletzt auch im Rahmen verschiedener Vortragsreisen. Und hie und da folgten die Steine auf dem Fuss: Aus der Normandie brachte er Exemplare von Kalkstein nach Hause, weitere Gesteinsproben stammen aus Arizona und Utah sowie vom Cape Canaveral in Florida, wo er 1992 an einer Studienreise teilnahm. Das Fassadenbruchstück eines dorischen Tempels aus Rom könnte der Dichter sogar bereits in den Vierzigerjahren aufgelesen haben, als er dort Nationalökonomie und Kunstgeschichte studierte und eine Faszination für antike Architektur entwickelte. Weitere Highlights, die geophile Herzen höherschlagen lassen, sind ein Amethyst, ein Bismut-Kristall und ein tiefblauer Lapislazuli, den Gomringer von einem Freund geschenkt erhielt.
Gomringers Interesse an Steinen war nicht ausschliesslich sammlerischer oder gefühlsmässiger Natur. Auch als künstlerisches Arbeits- und Ausdrucksmaterial schätzte er den Stein und verfolgte und kommentierte aufmerksam die Moden und Entwicklungen moderner Bildhauerkunst. Otto Herbert Hajek, Heinz-Günter Prager, Vera Röhm, A. D. Trantenroth, Thomas Virnich und mehr – lang ist die Liste Kunstschaffender, deren Steinarbeiten Gomringer besprach und publikumswirksam vermittelte.
Die Sprache als Steinbruch
Zusätzlich zur kritischen Rezeption reizte ihn auch die Kollaboration mit solchen Künstlern. Zusammen mit dem Tessiner Bildhauer François Lafranca etwa, bekannt für seine Steinprägedrucke mittels aus Amphibolit gebrochener Druckstöcke, gab er 2002 zwei Kunstmappen heraus, auf deren handgeschöpftem Papier Poesie und Gravur in einem feinsinnigen Dialog verquickt sind. Dabei umkreisen seine Verse in ihrer unnachahmlichen kombinatorischen Schärfe die Komponenten hinter Lafrancas Kunsttechnik: ein munteres Wechselspiel aus «stein», «gestalt» und «sinn».
Sicher empfand Gomringer auch eine tiefe Seelenverwandtschaft zwischen seiner dichterischen Arbeit und dem Kunsthandwerk der Bildhauerei. So wie diese Gestalt und Sinn aus dem Rohmaterial Stein gewinnt, bedient sich seine Konkrete Poesie an jenem der Sprache. Wie aus einem Steinbruch werden grob einzelne Wörter aus ihr herausgeschlagen und diese dann zu neuen, unerhörten Sprachgebilden kombiniert.
Das Schweizerische Literaturarchiv präsentiert monatlich Trouvaillen aus den Beständen.
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