Sarkozys Schwäche im Härtetest
FrankreichMit der Rentenreform setzt Sarkozy gerade seine Präsidentschaft aufs Spiel. Von Oliver Meiler Noch jeder französische Präsident der V. Republik sah sich, früher oder später in seiner Amtszeit, konfrontiert mit dem Unmut der Strasse, mit mindestens einem grossen sozialen Aufstand. Und da ein französischer Präsident wie ein Quasikönig regiert, ausgestattet mit beträchtlicher exekutiver Macht, zeigen diese Konfrontationen immer die ganze, allzu grosse Distanz zwischen dem Regierenden und dem Bürger, zwischen dem Prunk des Elysée-Palasts und dem Staub der Strasse. Bei Nicolas Sarkozy hätte das anders werden sollen. Das hatte er versprochen. Er wollte näher heran ans Volk, mit ihm regieren, Mythen und Protokoll abbauen. Er redete auch so wie das Volk, was vielen Franzosen zunächst wie eine erfrischende Neuerung vorkam. Man fand, der Mann habe recht, wenn er von der Notwendigkeit eines Bruchs redete – von einer profunden Reformierung und Modernisierung des Landes. Er wirkte anpackend und überzeugend, selbst dann, wenn er unangenehme Botschaften überbrachte. Nichts davon ist übrig geblieben. Sarkozys Diskurs greift nicht mehr. Es ist schon erstaunlich, wie einfach die Gewerkschaften in den vergangenen Monaten das Volk auf ihre Seite brachten – alleine, ohne die Hilfe der linken Opposition: 71 Prozent der Franzosen halten die Streiks und Proteste gegen Sarkozys Rentenreform, die ja für einige Unannehmlichkeiten im Alltag sorgen, für gerechtfertigt. Und das, obschon eine Mehrheit im Volk gleichzeitig der Meinung ist, dass das Rentensystem einer Reform bedarf, dass die Defizite in der Staatskasse gedeckt, der höheren Lebenserwartung Rechnung getragen werden müsse. Sarkozy hat die Schlacht um die Köpfe auf spektakuläre Weise verloren. Seine Reform gilt als Beleg dafür, dass der «Präsident der Reichen» die Hauptlast der Reformopfer den kleinen Leuten aufbürdet. Es gibt zwei Thesen zur Deutung der Niederlage. Dieerste geht so: Sarkozy, einst ein lebender Seismograf, spürt die Schwingungen im Volk nicht mehr, ist zudem schlecht beraten und unterschätzt die Empörung über die Skandale und Affären in seiner Entourage, über die allzu durchschaubare Politik gegen die Fahrenden und die Jugendlichen in den Banlieues. Alle Granden seines politischen Lagers markieren mittlerweile recht unverhohlen ihre Differenz zu Sarkozy. Manche bieten sich bereitsals Alternative an – für 2012, für dienächste Präsidentenwahl. Keine namhafte Reform Die zweite These dagegen sieht den Präsidenten in einer handelnden Rolle und die vermeintliche Niederlage als Strategie: Demnach hat sich Sarkozy genau dieses nun laufende Szenario gewünscht, um sich im letzten Drittel seiner Amtszeit doch noch als mutiger Reformer profilieren zu können, der der Strasse die Stirn bietet. Je radikaler die Proteste, desto grösser seine Aura. Darum verhandelt er nicht, macht kaum Konzessionen. Und nun? Sarkozy hat eigentlich gar keine andere Wahl, als hart zu bleiben. Gibt er nach, bleibt nichts übrig von seiner Präsidentschaft – keine namhafte Reform, geschweige denn ein Bruch. Doch was ist, wenn er tatsächlich hart bleibt? Sich gegen 70 Prozent der Franzosen stemmt? Hat er dann eine Chance, wiedergewählt zu werden 2012? Jeder Präsident der V. Republik hatte eine schwache Phase in seiner Amtszeit – seinen Gang durch die Wüste. François Mitterrand und Jacques Chirac, die letzten beiden, schafften ein Comeback. Bei Sarkozy scheinen die Chancen gerade sehr, sehr kompromittiert.
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